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Tarifeingriff aus ärztlicher Sicht
Tarifeingriff aus ärztlicher Sicht
Tarifeingriffe, die isoliert nur an das BAG eingereichte Eingaben der Versicherer und Spitäler umsetzen, richten sich absehbar nicht auf Einsparungen bei der Administration oder bei den Spitälern, sondern ausschliesslich nur auf eine Absenkung der Arztleistung. Der jetzt in der Vernehmlassung stehende Tarifeingriff eliminiert gezielt AL-Parameter im Kernbereich des TARMED wie Dignität und Produktivität. Genau diese Parameter wurden seinerzeit im TARMED zur Qualitätssicherung und zum Ausgleich der Arzteinkommen leistungsspezifisch bei jeder Einzelleistung hinterlegt.
Qualitätsparameter sichern im TARMED die Qualität. Dies erfolgt qualitativ durch die Vorgabe der Fachspezialität (qualitative Dignität), quantitativ durch die Vorgabe der strukturierten Weiterbildung innerhalb der Fachspezialität (quantitative Dignität) und bezüglich Assistenzunterstützung durch die Vorgabe der Assistenz (Assistenzdotation).
Produktivitätsparameter bewirken im TARMED den Ausgleich zwischen invasiver und nicht-invasiver Tätigkeit (Spartenproduktivität) und den Ausgleich der Arzteinkommen, bezogen auf die Lebensarbeitszeit (Dignitätsfaktor). Diese auf die Dignität bezogene Angabe des Produktivitätsverlusts berücksichtigt die Dauer der strukturierten Weiterbildung (beim doppelapprobierten Facharzt MKG beispielsweise zusätzliche 3 Jahre ohne Einkommen für das Doppelstudium) und den Umstand, dass Leistungen höherer Dignität nicht wie Leistungen niedrigerer Dignität nahtlos aneinandergereiht werden können.
Qualität wird durch den Tarifeingriff eliminiert. Jeder Qualitätsabbau beeinträchtigt die beabsichtigte Zielsetzung eines Tarifs, für ein bestimmtes Honorar eine Leistung von exakt vorgegebener Qualität zu fordern. Naiv wirkt die Vorstellung, eine Medizinalperson undefinierter Qualität könne durch das Verbringen und Abrechnen einer bestimmten Zeitspanne mit einem Patienten in einem Zimmer unbestimmter Infrastruktur eine qualifizierte medizinische Leistung erbringen und kassenpflichtig abrechnen.
Kosten hängen ab von der Effizienz. Qualitätsabbau bedeutet unweigerlich immer Effizienzverlust, Mengenausweitung, Verlagerung (von ambulant zu stationär) und dadurch Kostensteigerung. Bei MKG-Chirurgie mit Doppelapprobation (Arzt und Zahnarzt) mit 16½ Jahren Aus- und Weiterbildung (für invasive ambulante Leistungen bis 20 Jahre) drohen beim Wegfall der hinterlegten Prozessqualität und ungenügend qualifiziertem Behandler mengenausweitende Irrwege über unnötige CT, MRI usw. für die Diagnose und über Okklusionsstörungen für die Therapie.
Honorarausgleich, im TARMED für jede Leistung sorgfältig hinterlegt, würde durch den Tarifeingriff eliminiert. Der Wegfall der die Arzteinkommen ausgleichenden Produktivitätsfaktoren für Sparte und Dignität verunmöglichte es, bei identischer Zeitentschädigung mit Leistungen höherer Dignität das Referenzeinkommen für die Lebensarbeitszeit zu erreichen. Weil der Produktivitätsausgleich für die verlängerte strukturierte Weiterbildung und für nicht nahtlos aneinanderreihbare Eingriffe fehlen würde. Hochqualifizierte Leistungen, brutto per Zeitbedarf gleich honoriert wie einfacher Verbandwechsel oder Fädenentfernung, ergäben netto nur noch ein halbes Lebensarbeitszeit-Einkommen.
Weiterbildung hängt ab von der ärztlichen Motivation. Diese sinkt bei der Aussicht, dass Weiterbildung paradoxerweise lebenslänglich zu einer Einnahmenseinbusse führen könnte. Für den ärztlichen Nachwuchs wären dies düstere Perspektiven. Verlierer wären die ärztliche Weiterbildung, die Qualität der Patientenbehandlung und die Effizienz unseres Gesundheitswesens. Gefördert würden Belange abseits der direkten Patientenbehandlung wie der administrative Aufwand zur Regulierung der Mengenausweitung, der Spitaleintritte, der Qualitätskontrolle, der Abrechnungen und der statistischen Kontrollen. Wo soll da ein Spareffekt sein? Wofür diese Umverteilung?
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