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Moderner Pflanzenschutz: sicher und nachhaltig
Moderner Pflanzenschutz: sicher und nachhaltig
Brief zu: Tschudi J. Pestizide: relevant für die Gesundheit? Schweiz Ärzteztg. 2021;102(3):102–4.
Die Behauptung, dass immer giftigere Produkte entwickelt werden, ist schlichtweg falsch. Heutige Pflanzenschutzmittel sind wirksamer, umweltfreundlicher und sicherer als noch vor 20 Jahren. Die durchschnittliche Ausbringungsmenge lag 1962 bei über 10 kg/ha, heute ist es in der Regel weniger als 1 kg/ha. Dies entspricht einer Reduktion von mehr als 90%. Gleichzeitig sind neue Wirkstoffe sicherer. Die Weltgesundheitsorganisation WHO klassifiziert Pflanzenschutzmittel in vier Sicherheitskategorien von Klasse 1 (sehr gefährlich) bis Klasse U (wahrscheinlich ungefährlich). Die durchschnittliche akute Toxizität hat seit den 1960er Jahren um 40% abgenommen. Die Hälfte aller seit 2000 eingeführten Wirkstoffe entspricht der Klasse U. In Klasse 1 wurden keine neuen Wirkstoffe eingeführt.
Pflanzenschutzmittel gehören, neben Arzneimitteln, zu den Stoffen, die am besten untersucht sind. Um die Risiken eines Pflanzenschutzmittels abschätzen zu können, ist eine umfassende Datenbasis notwendig. Diese umfasst die Resultate zahlreicher wissenschaftlicher Studien. Wie bei der Zulassung von Medikamenten werden die nötigen Studien unter der Verantwortung der Hersteller gemäss internationalen Protokollen durchgeführt und von den Schweizer Behörden systematisch auf Methodik und Qualität geprüft. Durch breit angelegte Monitoring-Programme verfolgen zudem die zuständigen Behörden das Verhalten von Pflanzenschutzmitteln nach ihrem Markteintritt. So wird zum Beispiel die Qualität von landwirtschaftlichen Produkten, die Rückstände enthalten könnten, regelmässig kontrolliert. Die Daten zeigen: Mehr als 98% der untersuchten Lebensmittel enthalten Rückstandsmengen, die innerhalb der gesetzlichen Grenzwerte liegen, und ein Grossteil ist sogar frei von Pestizidrückständen. Produkte aus der Schweiz schneiden im europäischen Vergleich besonders gut ab. Dabei ist zu betonen, dass der Gesetzgeber die Grenzwerte so festlegt, dass für den Menschen durch den Konsum der Lebensmittel keine Gefahr ausgehen kann. Auch über die Risiken von Mehrfachrückständen (den sogenannten Cocktail-Effekt) wissen wir dank kontinuierlicher Forschung immer mehr. Kumulative Expositionsberechnungen in einzelnen Ländern und für spezifische Stoffgruppen (z.B. Organophosphate) ergaben ein geringes Risiko. Auch in der Schweiz werden wissenschaftliche Grundlagen für die kumulative Risikobeurteilung von Pflanzenschutzmitteln erforscht.
Die Versorgung mit Lebensmitteln und das Streben einer wachsenden Weltbevölkerung nach natürlichen Produkten und naturnahen Produktionssystemen werden zu einer enormen Herausforderung. Auch der Klimawandel und die zunehmende Bedeutung der Ernährung im Hinblick auf die steigende Lebenserwartung rufen nach allen verfügbaren Lösungen – seien diese chemisch, biologisch oder digital – sowohl konventioneller als auch neuer Züchtungstechnologien. Sich ohne Zwang und erkennbaren Nutzen durch Verbote oder extreme Einschränkungen den Zugang zu einem wesentlichen Teil dieser Lösungen sperren zu wollen, wie die beiden Agrar-Initiativen vorschlagen, ist nicht nur weltfremd, es ist schlicht unverantwortlich.
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