FMH

Mit der Salamitaktik zu Staatstarif und Budgetierung

DOI: https://doi.org/10.4414/saez.2022.20775
Veröffentlichung: 04.05.2022
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(18):581

Yvonne Gilli

Dr. med., Präsidentin FMH

Am 7. April feierte der TARDOC ein trauriges Jubiläum: Der tarifpartnerschaftlich erarbeitete, gesetzeskonforme und kostenneutrale ambulante Arzttarif wurde 1000 Tage alt – und musste diesen Ehrentag wohl in ­einer Schublade des EDI verbringen. Seit die Tarifpartner den TARDOC im Juli 2019 erstmals beim EDI einreichten verstrichen immer wieder lange Phasen ohne Nachricht aus der Inselgasse – bis dann wieder Nachforderungen eintrafen.

Diese Nachforderungen waren oft strenger, als es das Gesetz zur Tarifgenehmigung vorsieht – und mitunter unerfüllbar: So wurde zuerst bemängelt, die Tarifpartner verträten nicht die Mehrheit der Versicherten – als sie dieses Kriterium erfüllten, war die «Repräsentativität» nicht zufriedenstellend. Und obwohl mittlerweile über tausend eingereichte Dokumente vollständige Transparenz gewährleisten sowie Kostenneutralität und ein Kosten­monitoring mit Korrekturmöglichkeiten sichergestellt sind, warnt das EDI – wie immer – vor Kostensteigerungen.

Was wirken mag wie eine Posse aus der Amtsstube, hinterlässt mehr und mehr den Eindruck einer politischen Strategie: Möchte das EDI den TARDOC nicht haben, weil es den Tarif selbst festlegen möchte? Trotz gegenteiliger Beteuerungen schwächen die Aktivitäten des EDI seit Jahren die Tarifpartnerschaft – und treiben die staatliche Organisation des Tarifwesens in der Gesundheitsversorgung voran. Hierzu einige Beispiele:

– Es fällt auf, dass behördliche Tarifrevisionen dem EDI immer deutlich schneller gelangen als die Genehmigung des TARDOC. Ab dem Inkrafttreten der sub­sidiären Kompetenz im Jahr 2013 brauchte das BAG keine 1½ Jahre für die Verordnung zum ersten Tarif­eingriff. Und auch die Verordnung für den zweiten Eingriff benötigte weniger Zeit, als die Genehmigung des TARDOC bislang in Anspruch nimmt.

– Mit dem ersten Kostendämpfungspaket trieb das EDI neue staatliche Tarifkompetenzen stark voran. So betrafen nur 8 der 38 Massnahmen des Expertenberichts den Tarifbereich. Von diesen acht priorisierte das EDI jedoch sechs – und nur 3 von den übrigen 30. Dazu ergänzte das EDI noch den Artikel 47c KVG, der die Tarifpartner zur Kostensteuerung gemäss Vorgaben «der zuständigen Behörden» verpflichten soll [1].

– Die Verabschiedung und Vernehmlassung dieser Massnahmen begleitete das EDI im Jahr 2018 dann mit einer politisch inszenierten Skandalisierung der Ärztelöhne [2]. Bundesrat Berset sowie das BAG präsentierten den Medien verzerrte Zahlen zu sehr hohen Einkommen, die mit dem OKP-Arzttarif gar nicht erreichbar sind. Dennoch schlussfolgerte das BAG öffentlich, der Bund müsse die Sachgerechtigkeit des Arzttarifs prüfen [3].

– Im zweiten Kostendämpfungspaket wurde das Ziel staatlich fixierter Tarife noch deutlicher. Der Bund soll demnach nicht nur Kostenobergrenzen festlegen – auch die Grundversorgung in obligatorischen Erstberatungsstellen soll mit einer Pauschale vergütet werden, die der Bundesrat ganz allein festlegt.

– Auch der aktuelle indirekte Gegenvorschlag des EDI zur Kostenbremse-Initiative fordert massive staat­liche Tarifkompetenzen: Zukünftig sollen Genehmigungsbehörden jederzeit Tarifanpassungen fordern können – und sie nach einem Jahr selbst festsetzen können. Die Tarifpartner würden Auftragnehmer der Behörden, die Tarifpartnerschaft würde abgeschafft.

Die Salamitaktik, mit der die Tarife des Gesundheitswesens zu Amtstarifen gemacht werden, blieb bislang von vielen unbemerkt. Umso wichtiger ist es, das Ziel dieser Politik klar zu benennen: Es geht um staatlich gesteuerte Tarife im Gesundheitswesen. Und wenn der Staat über die Tarife Zugriff auf einen grossen Teil der Gelder im Gesundheitswesen hat, kann er auch Kostendeckel umsetzen. Er braucht dann kein Gesetz mehr zu Zielvorgaben und Globalbudgets. Er gibt dann einfach den Tarif durch.

Literatur

1 EDI/BAG, 29.3.2018. Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OK): Erste Massnahmen, die geprüft werden.

2 Schlup J. Cui bono? Von der Einkommensskandalisierung zum Globalbudget. Schweiz Ärzteztg. 2018;99(49):1723; URL: saez.ch/article/doi/saez.2018.17403

3 Unter anderem Pascal Strupler, Direktor BAG, in 10vor10 vom 8.11.2018; URL: www.srf.ch/sendungen/10vor10/gegenangriff-der-aerzte-asia-bibi-ein-nazi-arzt-in-der-schweiz

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