Journal Club Fokus auf … Immer noch lesenswert

Leserbriefe

Leserbriefe
Ausgabe
2002/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2002.09419
Schweiz Ärzteztg. 2002;83(48):02597

Affiliations
Wissenschaftliche Redaktion Swiss Medical Forum

Publiziert am 27.11.2002

Fokus auf …
Erworbene Hypomagnesiämie
Magnesium (Mg) ist – nach dem Kalium – das zweithäufigste Kation. Im erwachsenen Körper liegen rund 24 g vor, das meiste davon im Knochen. Extrazelluläres Mg macht circa 1%, der Anteil im Serum nur gerade 0,3% aus. Die im Serum bestimmten Werte bilden deshalb das intrazelluläre Mg nur ungenügend ab.
Eine erworbene Hypomagnesiämie sollte bei folgenden Situationen gesucht werden: kardialen Arrhythmien (QT-Verlängerung, Torsade de Pointes), neuromuskulären Störungen (Tremor, Spasmen, Krampfanfällen), chronischem Alkoholkonsum, therapierefraktärer Hypokaliämie, unklarer Hypokalzämie (Reminder: Mg wird zur Parathormonsekretion benötigt). Eine Hypalbuminämie führt zu falsch-tiefen Mg-Werten im Serum.
Die Ursache der Hypomagnesiämie ergibt sich in der Regel aus dem klinischen Kontext. Häufig kommen medikamentöse Trigger infrage. Die entsprechende Indikation gilt es deshalb immer wieder zu prüfen!
Protonenpumpenblocker (PPI) interferieren mit der Mg-Resorption im Kolon. Eine Hypomagnesiämie (Prävalenz unter PPI >10%) wird vor allem bei hochdosiertem Einsatz, unter Komedikation mit Diuretika, bei Langzeittherapie und bei älteren Patientinnen und Patienten beobachtet.
Diuretika erhöhen die renale Mg-Ausscheidung, Thiazide mehr als Schleifendiuretika, akzentuiert unter Kombination beider Wirkstoffklassen. Kaliumsparende Diuretika wirken hingegen protektiv, ebenso Natrium-Glukose-Kotransporter-2-(SGLT2-)Inhibitoren.
Antibiotika, Colchicin und Laxativa (Diarrhoe), platinumhaltige Chemotherapeutika und Amphotericin B sind weitere Beispiele für Medikamente, die eine Hypomagnesiämie induzieren können.
Die Art der Substitution wird durch die jeweilige Symptomatik und den Schweregrad der Klinik definiert. Bei Tetanie, Krampfanfällen und Rhythmusstörungen mit hämodynamischer Instabilität erfolgt sie parenteral (1–2 g Mg-Sulfat = circa 4–8 mmol respektive 8–16 mval Mg über 2–15 Minuten).
Bei therapierefraktärer Hypomagnesiämie – oder kann aufgrund der dringenden Indikation ein medikamentöser Auslöser nicht gestoppt werden – kann der Zusatz von Amilorid oder einem SGLT2-Inhibitor hilfreich sein.
Mayo Clin Proc. 2023, doi.org/10.1016/j.mayocp.2022.12.002. Verfasst am 12.3.23_HU.

Praxisrelevant

Lokalisiertes Prostatakarzinom beobachten?

Welches ist das richtige Vorgehen, wenn beim Mann ein lokalisiertes Prostatakarzinom entdeckt wird? Operation? Bestrahlung? Oder Zuwarten?
In England wurden 1643 Männer mit lokalisiertem, nicht metastasiertem Prostatakarzinom randomisiert in drei verschiedene Gruppen eingeteilt und über durchschnittlich 15 Jahre nachverfolgt: 553 wurden prostatektomiert, 545 bestrahlt und 545 ohne Eingriff weiter beobachtet [1]. Folgende Endpunkte wurden erfasst: lokale Progression, Auftreten von Metastasen, Beginn einer hormonellen Androgen-Entzugstherapie, Tod unabhängig von der Ursache und Tod durch das Prostatakarzinom. Lokale Progression wurde bei 10,5% (Prostatektomie), 11,0% (Bestrahlung) und 25,9% (Beobachtung) festgestellt, Metastasen traten bei 4,7%, 5,0% und 9,4% auf und hormoneller Entzug wurde bei 7,2%, 7,7% und 12,7% initiiert. Verstorben sind insgesamt 21,7%, ohne dass unter den drei Gruppen ein Unterschied bestand. Am Prostatakarzinom verstorben sind bedeutend weniger: 2,2% in der Prostatektomiegruppe, 2,9% in der Bestrahlungsgruppe und 3,1% in der Beobachtungsgruppe.
Es erstaunt nicht, dass bei Zuwarten die lokale Progression und das Auftreten von Metastasen bedeutend häufiger sind. Bemerkenswert dagegen ist, dass ohne Therapie in den 15 Jahren rund ein Viertel der Patienten immer noch keine spezifische Tumortherapie benötigt und das Prostatakarzinom – im Gegensatz zu anderen Todesursachen – nur bei 3,1% zum Tode geführt hat.
Im Editorial zu dieser Arbeit rät der Autor aber davon ab, heute einfach nur zuzuwarten [2]. Er weist mit Recht darauf hin, dass Hochrisikokonstellationen (hohe Werte des prostataspezifischen Antigens [PSA], hohe Gleason-Scores) in dieser Studie untervertreten waren. Zudem hat heute die Magnetresonanztomographie in der Initialbeurteilung des Prostatakarzinoms das Tor zu neuen Therapiekonzepten geöffnet. Auch dürfte die Akzeptanz der Patienten, bis zum Auftreten von Metastasen einfach nichts zu tun, gering sein. Trotz dieser Einschränkungen sind die Ergebnisse dieser hochaufwendigen Arbeit bei der Beratung des Mannes mit lokalisiertem Prostatakarzinom sehr wertvoll.
1 N Engl J Med. 2023, doi.org/10.1056/NEJMoa2214122.
2 N Engl J Med. 2023, doi.org/10.1056/NEJMe2300807.
Verfasst am 27.3.2023_MK.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Akute Lungenembolie: Wann verbirgt sich ein chronisches Problem?

Die chronisch thromboembolische pulmonale Hypertonie (CTEPH) ist zwar eine seltene Entität, aber mitunter die schwerste Komplikation nach überlebter Episode einer akuten Lungenembolie (LE). Ein routinemässiges Screening aller LE-Patientinnen und -Patienten wird nicht empfohlen. Vermutlich sinnvoll ist aber eine Strategie, mit der bereits zum Diagnosezeitpunkt der akuten LE Hinweise auf eine vorbestehende Problematik identifiziert werden: Diese Patientinnen und Patienten könnten dann engmaschig kontrolliert und frühzeitig spezifisch – im besten Fall kurativ! – behandelt werden.
In diesem Kontext hat die Studie hier die CT-morphologischen Befunde untersucht, die bereits bei einer akuten LE auf das Vorliegen einer CTEPH schliessen lassen. Es sind dies unter anderem und mit absteigendem Prädiktionswert: intravaskuläre Bänder, verengte Pulmonalarterien, dilatierte Bronchialarterien und eine rechtsventrikuläre Hypertrophie. Das Erkennen dieser Zeichen benötigt allerdings reichlich Expertise!
Immerhin kann gesagt werden: Von 303 konsekutiv eingeschlossenen Patientinnen und Patienten zeigten 46 (15%) retrospektiv bereits im Rahmen der akuten LE morphologische Hinweise auf eine CTEPH, bei vier davon wurde im Verlauf die Diagnose effektiv gestellt. Dies entspricht immerhin einem positiven Yield von fast 10% und die Diagnosestellung erfolgte früh – im Mittel bereits nach 3,6 Monaten.
Verfasst am 21.3.23_HU.

Auch noch aufgefallen

Kann ich noch besser werden?

In einer Review im «American Journal of Medicine» gibt J.P. Higgins zehn Ratschläge, wie wir unser ärztliches Tun noch verbessern können. Er kommentiert dazu Zitate, die er selbst zu beherzigen versucht.
Für den Umgang mit Rückschlägen und Enttäuschungen empfiehlt er, an Paulo Coelho zu denken: «You drown not by falling into the river, but by staying submerged in it.»
«Listen to your patient; he is telling you the diagnosis» (Sir William Osler) schmückt er mit der Geschichte seines Patienten, bei dem im Eventrekorder nur jeweils zwischen Mitternacht und 2 Uhr morgens Tachykardieepisoden aufgezeichnet wurden. Intensives Nachfragen enthüllte schliesslich eine geheime sexuelle Affaire, die er nur zu Nachtzeiten traf.
«People will forget what you said, people will forget what you did, but they will never forget how you made them feel» (Maya Angelou) leitet einen kleinen Exkurs über ärztliche Empathie ein, die wir erlernen könnten, aber nur ungenügend anwenden.
Ärztliches Tun ist geprägt von unerwarteter Konfrontation mit Krankheit und Tod, Verzweiflung und Enttäuschung. Unsere Resilienz befähigt uns, dies zu bewältigen: «It’s not the strongest of a species that survive, nor the most intelligent, but the ones most resilient and responsive to change.» (Charles Darwin)
Und wenn wir ermüdet in der Routine uns fragen, ob wir noch genügen, hilft J. Rockefeller: «The secret of success is to do the common things uncommonly well.»
Aus Platzgründen können hier nicht alle zehn Zitate kommentiert werden. Zum Abschluss aber noch dies: «Your work is going to fill a large part of your life, and the only way to be truly satisfied is to do what you believe is great work. And the only way to do great work is to love what you do. If you haven’t found it yet, keep looking, don’t settle.» (Steve Jobs)
Immer noch lesenswert
Alles ist relativ – auch Normwerte
Ein einfaches Studiendesign, ein elegantes Paper, eine wichtige Konklusion: Bei 16 gesunden Männern wurden über den Zeitraum eines Jahres monatlich die Schilddrüsenwerte bestimmt. Die Schwankungsbreite – sowohl der Werte beim jeweils gleichen Probanden («intraindividuell») als auch die Unterschiede innerhalb der ganzen der Gruppe («interindividuell») – war eindrücklich!
Verteilung der T4-Werte bei 15 Probanden (weisse Balken) und einem einzelnen Individuum (schwarzer Balken) über ein Jahr hinweg (aus: Andersen S, et al. Narrow individual variations in serum T(4) and T(3) in normal subjects: a clue to the understanding of subclinical thyroid disease. J Clin Endocrinol Metab. 2002;87(3):1068–72. doi: 10.1210/jcem.87.3.8165. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung).
© 2002 by The Endocrine Society
Verglichen wurden die Werte sodann mit den bekannten Referenzwerten für Thyroidea-stimulierendes Hormon (TSH), Triiodthyronin (T3) und Thyroxin (T4). Illustriert am Beispiel T4 zeigte sich (s. Abbildung): Die Verteilungsbreite der Werte eines bestimmten Individuums entsprach etwa der Hälfte der Verteilungsbreite der gesamten Gruppe. Will heissen: Das TSH stellt das T4 beim einzelnen Individuum innerhalb enger Banden ein. Liegt das Testresultat für T4 innerhalb der Grenzwerte des populationsbasierten Referenzbereichs, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Wert für das konkrete Individuum normal ist. Und umgekehrt: Ein Serumwert des TSH ausserhalb des Referenzwertes suggeriert, dass die peripheren Schilddrüsenhormone nicht dem individuellen Normalwert entsprechen.
Die Unterscheidung von «normal» und «pathologisch» respektive von subklinischer und manifester Erkrankung ist damit etwas arbiträr: Sie hängt primär vom individuellen Setpoint ab.
J Clin Endocrinol Metab. 2002, doi.org/10.1210/jcem.87.3.8165.Verfasst am 22.3.23_HU.
Am J Medicine. 2023, doi.org/10.1016/j.amjmed.2022.12.011.
Verfasst am 27.3.2023_MK.