Praxiskalender

Horizonte
Ausgabe
2017/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05181
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(04):128

Affiliations
Dr. med., Mitglied der Redaktion

Publiziert am 24.01.2017

Zeitmangel ist ein Dauerthema. Da helfen auch Managementkurse nicht weiter. Und alles verschlimmert die viel beklagte Beschleunigung. Ärztesonntage sind heute total verplant und das akademische Viertel, die wohlwollend kommentierte Verspätung, im Stile von: «die Gute hat sicher wieder vielen geholfen», ist auch passé. Mit der Zeit zu gehen ist nicht immer einfach.
Erinnern sie sich an die Einführung der Sommerzeit? Ein Gesetzesbeschluss wurde 1973 verabschiedet und zwei Jahre später via Referendum wieder abgeschafft. Erst 1981 wurde die Umstellung definitiv, allerdings nur, weil die nötigen Unterschriften für ein zweites Referendum nicht zusammen kamen. Was in den USA als Daylight Saving Time verkauft wurde, geschah hier als ­unumgängliche Anpassung der Fahrpläne an die der Nachbarstaaten. Mehrere Landwirte trugen damals in der Sprechstunde zwei Armbanduhren. Die Kühe müssten sich erst auf die neue Melkzeit umstellen, so die ­Begründung. Damals belächelt, ist es Zeit reumütig ­Abbitte zu leisten. Denn anscheinend gilt das auch für Menschen. Chronobiologen sprechen von circa zwei Wochen, die der Körper für eine Umstellung auf den neuen Rhythmus braucht. Statistisch lässt sich belegen, dass Herzbeschwerden in den folgenden drei Tagen zu vermehrten Hospitalisationen führen. Wenn schon eine einzige Stunde zahlreiche Jetlag-Symptome aus­lösen kann, um wieviel schlimmer muss dann ein chronischer Zeitmangel sein. Im Kanton Appenzell Ausser­rhoden wird bekanntlich am 13. Januar der Jahresbeginn nach julianischem Kalender gefeiert. Damals eine protestantische Trotzreaktion auf die päpstliche Neuordnung. Doch wie so oft könnte ein Blick in die Vergangenheit, sozusagen eine kalendarische Horizonterweiterung, therapeutisch und organisatorisch weiterhelfen.

Eine kalendarische Horizonterweiterung

Im Frimaire im Jahre II wurde der gregorianische Kalender abgeschafft und der Calendrier Républicain eingeführt. Mit diesem Novembermonat der Reifbildung, im zweiten Revolutionsjahr, begann die jakobinische Zeitrechnung. Eine Woche dauert jetzt 10 Tage, ein Tag 10 Stunden à 100 Minuten zu 100 Sekunden. Für alle Epigonen der Sansculottes tun sich ungeahnte Perspektiven auf. Die neue Sprechstundenzeit und die umzurechnende Tarifentschädigung führen zu erfrischend anregenden Erfahrungen, die jeden Zeitfrust relativieren. Zudem belohnen den Wagemutigen bald zauberhafte Frühlingsmonate, wie der Germinal, der Floréal und der Prairal. Dass die Tagesheiligen durch Gemüsesorten ersetzt wurden war damals zu verkraften, weniger die reduzierten Sonntage. So wurde der Dezimal­furor unter Napoleon wieder abgeschafft. Ein neuer Versuch 1871 scheiterte kläglich. Immerhin zeigt das Beispiel, dass ein neuer Kalender durch ein verändertes Zeitgefühl helfen kann, viel Stress abzubauen. Kollegen mosaischen Glaubens praktizieren im Jahre 5778, Korangläubige im Jahre 1439. Die Star Trek-Mannschaft richtet sich nach der vierstelligen Sternzeit, allerdings erst im 23. Jahrhundert. Was soll da das Gerangel um ein bisschen mehr oder weniger Zeit.

Empfehlungen an schuftende Kollegen

InstantMedicalCheckPoints IMCPs oder Comprehensive­SportsClinics CSCs und allen weiteren Orten, wo Kollegenkollektive zum Wohle ihrer Patienten schuften, sei der sowjetische Revolutionskalender zur Nachahmung empfohlen. Denn das bedeutet durchgehend fünf Arbeitstage mit rotierenden Ruhetagen, verteilt auf fünf Gruppen Werktätige, traditionell markiert mit den Farben grün, gelb, pink, rot und lila. Erstens wird die Infrastruktur optimal ausgelastet, da durchgehend, ohne lästige Sonntage, Betrieb herrscht, zweitens ist Zeit vor allem Geld, so dass die Praxiskasse heftiger klingelt, und drittens sind die bunten Einsatzpläne schön anzuschauen.
Zu erwägen bleibt noch der Mayakalender mit seinen verschiedenen Zeitzyklen. Für Burnout-Kliniken vielleicht ein bedenkenswertes Traktandum. Es sei aber jedem unbenommen diese historischen Beispiele für die eigene Praxis abzulehnen. Sie sind nichts mehr und nichts weniger als Vorlagen für eigene Konstruktionen. Am 26. März 2017 um 02.00 Uhr ist es wieder so weit, dann beginnt die Sommerzeit. Und wieder wird uns eine kostbare Stunde geraubt. Sie wird uns nicht nur körperlich fehlen.
Frühere Praxiskalender waren ein Geschenk der Pharmabranche. Es ist Zeit für neue, hausgemachte Produkte.
erhard.taverna[at]saez.ch