Mehr Hunde ins Gesundheitswesen!

Zu guter Letzt
Ausgabe
2017/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05198
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(04):136

Affiliations
PD Dr. phil., dipl. biol., Leiter der Fachstelle für klinische Ethik der Insel Gruppe AG (Bern), Gastwissenschaftler der VU Amsterdam,
Generalsekretär der European Association of Centres of Medical Ethics (EACME) und Mitglied der Redaktion Ethik der SÄZ

Publiziert am 24.01.2017

Ich finde, wir brauchen mehr Hunde im Gesundheitswesen. Nein, ich spreche nicht von Therapiehunden oder Streichelzoos (obwohl das wahrscheinlich auch nicht schlecht wäre). Ich spreche von meinem Versuch, vorliegend eine Metapher zusammenzubauen. Eine Metapher, in der ich manche Menschen eher als «Hunde» klassifiziere, andere eher als «Affen». Ich will sagen: Manche Menschen sind wie Hunde, andere eher wie Affen. Oder, was ich eigentlich meine: Wir brauchen mehr von den Hunden! Und bitte, etwas weniger von den Affen. Darauf will ich hinaus. Verzeihen Sie mir, wenn die Metapher nicht 100 Prozent funktioniert; so ist das mit Metaphern meistens. Ich probiere es trotzdem mal. Also, los geht’s. Wuff, wuff.
Hunde können nicht lügen. Sie können sich nicht verstellen. Sie sind immer in der Gegenwart, im Hier und Jetzt ihrer Gefühle und ihrer Intuitionen. Sie folgen ­ihrem Rudel, zuverlässig und berechenbar. Manche sind sogar selbst Rudelführer, verantwortungsvoll. Aus ethischer Sicht könnte man diese caninen Eigenschaften in Werte fassen: Authentizität, Loyalität und Ehrlichkeit.
Menschen stammen allerdings nicht von Hunden ab, sondern von Affen. Hominidae, Menschenaffen. Sie ­haben sich evolutiv in eine andere Richtung entwickelt. Bewusstsein, Reflexionsfähigkeit, Werkzeug, dazu passend ein opponierter Daumen und natürlich unser ­beinahe geschwürartig vergrössertes Grosshirn. An sich fantastische Entwicklungen, die uns eine kulturelle Evolution ermöglicht haben. Aber gleichzeitig sind dies die Möglichkeiten, die uns ein strategisches Denken, damit auch Täuschung und Lügen ermöglichen.
Hunde haben weniger Reflexionsfähigkeit und kein Bewusstsein über sich selbst, wenn sie in den Spiegel schauen. Aber sie haben auch keine versteckten unausgesprochenen Ziele, keine hidden agenda. Sie können nichts vortäuschen.
Ich biete in meiner Arbeit als klinischer Ethiker Fall­besprechungen an. Diese ethischen Fallbesprechungen sollen helfen, die Werte der eigenen Berufsrolle zu überdenken und bestmögliche Lösungen für schwierige klinische Situationen zu entwickeln, dies im ­Kontext z.B. von Therapie- und Schwangerschaftsabbrüchen, Entscheidungen am Lebensende etc. Ein wich­tiger Schritt dieser Fallbesprechungen ist der «Perspektivenwechsel», ein methodisch-angeleiteter Versuch, sich bewusst in die Perspektive von gerade der Person zu versetzen, deren Wünsche und Werte man selbst ­eigentlich gar nicht verstehen kann. Sich in andere ­hineinversetzen. Affen können das ganz gut, Hunden wäre das nicht möglich. Hunde können niemals ihre eigene Perspektive verlassen. Ein weiterer wichtiger Schritt solcher Fallbesprechung ist die Bekenntnis 
zu den ­eigenen Werten. Was ist dir in deinem Beruf ­eigentlich wichtig? Wofür stehst du ein? Bei genau 
der Entscheidung, die jetzt heute hier von uns allen ­getroffen werden muss. Hunde können das, Affen trauen sich meistens nicht. Und genau da liegt das Problem.
Hunde bekennen sich immer mutig zur eigenen ­Meinung. Die meisten Affen überlegen, ob die eigene Meinung in die Gesamtstrategie passt und ob es nicht besser wäre, eine andere Meinung vorzutäuschen. Fazit: Die Authentizität kommt uns abhanden, so zumindest in meiner Wahrnehmung. Aber, vielleicht liege ich ja falsch. Ich bin ja nur ein Hund.
Klar, wir Hunde haben zivilisatorisch auch nicht so viel erreicht. Wir haben ja noch nicht mal Unispitäler gebaut. Wir sind auch nicht selbständig auf den Mond geflo­gen. Das ist der Punkt, an dem meine Metapher nicht ganz greift. Dennoch, beim Thema Loyalität und Authentizität könnten die Affen noch einiges von uns lernen.