Grübel! Stöhn! Grummel

Horizonte
Ausgabe
2017/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05270
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(06):201

Affiliations
Dr. med., Mitglied der FMH

Publiziert am 08.02.2017

Nürnberger Trichter oder Narrenkappen oder Tarnkappen, das gibt es schon lange. Die Denkkappe hat der Zeichner Carl Barks (1901–2000) erfunden. Erinnern Sie sich an den Diplomingenieur Daniel Düsentrieb? Der federführende Geflügelmaler von Walt Disney hat die Sippe der Ducks um die Figur des genialen Tüftlers bereichert. Dem Menschenhuhn aus Entenhausen verdanken wir unentbehrliche Erfindungen, wie den pneumatischen Schuhbinder oder den unvergessbaren Regenschirm. Das Bemerkenswerteste neben seinem Helferlein, einem Homunculus mit einer Glühbirne als Kopf, war die Denkkappe. Ein Zusatzmodul aus Sinnvögeln verstärkte die kreative Wirkung.
Nur 15 Jahre nach Barks’ langem Leben haben ein Mediziner und ein Chemiker seine Denkkappe zur Marktreife weiterentwickelt. Das Ding, mit dem Handelsnamen Thync, sieht etwas eleganter aus als der Vorgänger. Ein weisses, dreieckiges Modul auf der Schläfe, zwei Kabel mit je einer Elektrode im Nacken und ein Smartphone mit einer Auswahl, wie Bliss, Surge, Cooldown, Calm, Energy, Zen, Sleep, und weiteren Anwendungen für Stromstösse ins Gehirn. Zehn bis zwanzig Milliampère zur transcraniellen Gleichstromstimulation sind von der US-Medikamentenaufsicht zugelassen. Mehr ist wegen mangelnder Forschungsunterlagen bisher nicht erlaubt. Das neue Teil eröffnet ein weiteres Kapitel im Wettbewerb der tragbaren Kontrollen. Es misst nicht nur die Körperfunktionen, es verändert diese, steuert die Stimmung, steigert Motivation, Arbeits­lust und Konzentration, baut Stress ab, fördert die Schlaftiefe und soll Depressionen lindern. Glaubt man den Vertreibern steht uns ein digitales Dauerhoch bevor, ermöglicht durch einen klinisch sauberen, dosierbaren, externen Hirnschrittmacher zu einem günstigen Preis. Selbstoptimierung ohne Alkohol, ohne Nikotin, ohne Drogen. Für die Sportwelt hat die Konkurrenz den HaloSport entwickelt. Ein Kopfhörer stimuliert ISO-zertifiziert die Motoneuronen. Zahlreiche begeisterte Sportler springen damit weiter, stemmen mehr Gewicht, boxen schneller und härter.
Ein marxistisch angehauchter Autor kritisierte in den 1970er Jahren in seiner Abhandlung Die Ducks – Psychogramm einer Sippe Düsentriebs Erfindungen als system­­­erhaltend. Aus nackter Existenznot habe dieser sein Forscherethos verraten und, unbelastet von soziologischem Wissen, ein technologisches Paradies geschaf­fen, das den Nutzniessern der alten Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse zu subtileren Instrumenten verhalf. Aus Sicht des Entenexperten ein naives und unmündiges Verhalten. Heute wissen wir das alles viel besser. Die Start-ups der Düsentrieb-Industrie bereichern unser Leben. Sie fördern unsere Performance im Wettbewerb, sie beleben den Markt und machen uns schlauer, fitter und stärker.
Was die Medizintechnik leistet, ergänzt die Pharma­industrie mit neuen Stimulanzien zum Hirndoping. Im System alle gegen alle verleiht nicht nur Redbull «Flüüügel». Was Koffein und Taurin versprechen, kann inzwischen LSD weit besser. 10–20 Mikrogramm alle vier Tage, so eine Rezeptur von vielen. Die Halluzinogenmenge, unter ihrem Schwellenwert eingenommen, verstärkt die Lernfähigkeit, macht kreativ, fördert Gleichgewicht und schnelle Reaktionen. Statt Amphetamine, Modafinil oder Ritalin sind psychedelische Drogen angesagt. Halluzinationen sind in der Arbeitswelt wenig rentabel. Gefördert werden gezielt gute Prüfungs­resultate und die Lust, Konkurrenten abzuhängen.
Die promovierte Kunsthistorikern Erika Fuchs hat Barks’ Geschichten kongenial übersetzt. Ihre lautmalerischen Schöpfungen sind in die Umgangssprache und zum Teil sogar in den Duden eingegangen. Erfolgreich dank Milliampère und Mikrogrammen; wohin das führt, wissen wir noch nicht. Es könnte einmal ausreichend mit Grübel, Stöhn, Grummel, Schwurbel, Ächz und Kreisch zu beschreiben sein.
Dann erst gilt: Ente gut, alles gut.
erhard.taverna[at]saez.ch