Eine grosse Herausforderung für das Schweizer Gesundheitswesen

Praktische Umsetzung des elektronischen Patientendossier Gesetzes (EPDG)

Weitere Organisationen und Institutionen
Ausgabe
2017/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05331
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(05):147–148

Affiliations
Dr. med., Mitglied des Zentralvorstands FMH

Publiziert am 31.01.2017

Ausgangslage

In der Sommersession 2015 wurde das Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG) vom Parlament verabschiedet. Das Gesetz soll gemäss Bundesrat im April 2017 in Kraft treten.
Die FMH hat sich von Beginn weg mit dem EPDG eingehend auseinandergesetzt und die Anliegen der Ärzteschaft dezidiert und engagiert im Gesetzgebungs­prozess in den beiden Kammern des Parlaments eingebracht. Die FMH steht klar hinter diesem verabschiedeten Gesetz. Unsere zentralen Forderungen nach einer von der AHV unabhängigen Patientenidentifikationsnummer und die so genannte doppelte Freiwilligkeit (freiwillige Teilnahme für die Patienten und für die niedergelassene Ärzteschaft) wurden von Bundesrat Berset unterstützt. Nach vielen Höhen und Tiefen wurde das Gesetz schliesslich vom Parlament weit­gehend gemäss der Botschaft des Bundesrats verabschiedet.

Ausführungsrecht zum EPDG – 
der Teufel liegt im Detail!

Nachdem das Gesetz erfolgreich verabschiedet werden konnte, ist nun für die praktische und erfolgreiche Umsetzung des EPDG das Ausführungsrecht entscheidend.
Aus Sicht der FMH kann das EPDG aber mit dem vorliegenden Entwurf für das Ausführungsrecht nicht alltagstauglich umgesetzt werden. Die wesentlichen Ziele des EPDG, insbesondere die Patientensicherheit und die Unterstützung der Behandlungsprozesse, wurden aus den Augen verloren. Die FMH sieht bei den vorliegenden Entwürfen grosse Schwierigkeiten:
– Die Anforderungen und die Regelungsdichte sind so hoch, dass kein praktikables, nutzbares und vermittelbares Patientendossier entstehen kann.
– Die Vorlage umfasst extrem umfangreiche technische und juristische Detailregelungen, ohne jedoch die wichtigen Prozesse einzubeziehen und zu klären.
– Die Höhe der Anforderungen lässt hohen Aufwand im Betrieb ohne gesicherten Nutzen für die Patientenbehandlung und damit einen Kostenschub befürchten.
In einer ausführlichen Stellungnahme im Rahmen des inzwischen abgeschlossenen Vernehmlassungsprozesses hat die FMH ihre Verbesserungsvorschläge differenziert eingebracht. Es bleibt zu hoffen, dass die auch von anderer Seite eingebrachten Kritikpunkte ernst genommen werden und in die erwartete definitive Fassung des Ausführungsrechts zum EPDG einfliessen.

Erfolgsfaktoren für ein sinnvolles ­elektronisches Patientendossier (EPD) 
aus Sicht der Ärzteschaft

An dieser Stelle sei vorab wieder einmal festgehalten, dass das elektronische Patientendossier weder eine elektronische Krankengeschichte (eKG) ist, noch ein Primärsystem ersetzt. Wichtig ist auch, dass die Syn­ergien zwischen den Primärsystemen und dem EPD ­effizient genutzt werden können und Mehrfacherfassungen von medizinischen Daten entfallen.
– Das EPD muss sowohl für den Patienten wie auch für die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt einen klaren Nutzen und Mehrwert bringen und damit Sinn stiften.
– Das EPD soll nur die behandlungsrelevanten Daten umfassen und Daten, welche einen ein «Leben lang» begleiten, wie beispielsweise Allergien und Unverträglichkeiten, Impfdaten, operative Eingriffe, chronische Erkrankungen und Dauermedikationen etc.
– Ein unübersichtlicher «Datenfriedhof» muss unbedingt vermieden werden.
– Damit das EPD eine Erfolgsgeschichte wird, ist es wichtig, dass eine alltagstaugliche Verbreitung von elektronischen Dokumentationen (Primärsysteme) in den Praxen der niedergelassenen Ärzteschaft und insbesondere bei den Grundversorgern gefördert und unterstützt wird.
– Es braucht auch eine klare Regelung, wie es zu Empfehlungen von verbindlichen Standards und Austauschformaten kommt und wie diese verabschiedet werden.
– Es braucht die Ausarbeitung von Empfehlungen, die bei der praktischen Umsetzung von eHealth und dem EPD unterstützen sollen.
– Es braucht die berufsübergreifende, gemeinsame Erarbeitung von interprofessionellen Prozessen und daraus abgeleiteten Inhalten des EPD durch die Interprofessionelle Arbeitsgruppe (IPAG).
– Damit ein EPD sinnvoll genutzt werden kann, muss das Dossier gepflegt werden. Diese Arbeit fällt aus­serhalb der Primärsysteme an und muss dementsprechend tarifarisch entschädigt werden.
– Der Datenschutz muss jederzeit gewährleistet sein. Es braucht die Identifikation und Bearbeitung von Schnittstellen oder besser Nahtstellen, welche Medienbrüche eliminieren und dadurch von Nutzen für Patienten und Ärzteschaft sind.

Erwartungen der Ärzteschaft an 
die Austauschplattformen und ­Gemeinschaften

Zurzeit entstehen Gemeinschaften und Stammgemeinschaften im Sinne des EPDG bzw. die für die Umsetzung notwendigen Betriebsgesellschaften werden gegründet. Noch ist die Verwirrung beim einzelnen Leistungserbringer gross, wer nun welche Rolle einnimmt und wie und wo sich die Ärztin oder der Arzt ­einer Gemeinschaft anschliessen soll und kann. Für die Umsetzung des EPD ist der Anschluss an eine Gemeinschaft für den Leistungserbringer ebenso nötig und sinnvoll wie für den Patienten, der sich für die ­Eröffnung eines EPD zwingend einer Stammgemeinschaft anschliessen muss.
Die Teilnahme an der Umsetzung des EPD ist für die Patientinnen und Patienten ebenso freiwillig wie für die ambulanten Leistungserbringer. Im Gegensatz dazu sind die Spitäler und Pflegeheime zur Teilnahme verpflichtet. Es ist deshalb sehr wichtig, dass der ­Anschluss an eine Austauschplattform für die Leistungserbringer möglichst einfach und unkompliziert erfolgen kann. Ebenso wichtig ist es, dass die gleiche Austauschplattform sowohl für den «ungerichteten» Datenaustausch (EPD) als auch für den «gerichteten» (zwischen einzelnen Leistungserbringern) Austausch medizinischer Daten genutzt werden kann. Einfach und unkompliziert bedeutet für die ambulanten Leistungserbringer, dass vorhandene und in der ambulanten Praxis bereits implementierte und verwendete, ­datenschutzkonforme und sichere elektronische Kommunikationskanäle, im Sinne eines single sign-on, genutzt werden können. Ambulante Leistungserbringer werden beim EPD und auch beim gerichteten Datenaustausch nur mitmachen, wenn sie ein «Sorglos­paket» erhalten, welches für sie einen echten Nutzen generiert und bei dem sie weder grossen finanziellen noch personellen Aufwand betreiben müssen.

Fazit

Wenn es gelingen soll, das EPDG in der Alltagspraxis erfolgreich zu implementieren, dann ist es wichtig, dass der Nutzen des elektronischen Patientendossiers und der digitalen Vernetzung aufgezeigt und praktisch umgesetzt werden kann. Dazu müssen die Prozesse in  der freien Praxis miteinbezogen werden und die praktische Umsetzung muss entlang dieser Prozesse erfolgen. Der administrative Aufwand und die Hürden für einen Anschluss an die Austauschplattformen müs-
sen möglichst gering sein und der «gerichtete» wie auch der «ungerichtete» Datenaustausch soll über die gleichen Kommunikations- und Identifikationskanäle datenschutzkonform, überregional und unkompliziert abgewickelt werden können.
Nachdem sich die medizinischen Versorgungsprozesse bekanntlich an keine Grenzen halten, darf auch die ­digitale Vernetzung nicht an administrativen, organisatorischen, technischen, regionalen oder berufs- bzw. fachspezifischen Hürden oder Grenzen scheitern. Dieses Ziel werden wir nur mit offenen, durchlässigen und kooperativen Systemen erreichen, welche der Vielfalt des föderativen Schweizerischen Gesundheitswesens Rechnung tragen und für alle Beteiligten einen echten Mehrwert bringen.

Fit für die digitale Transformation?

Vom 29. bis 30. März 2017 treffen sich im KKL Luzern an den Trendtagen Gesundheit Luzern einmal mehr über 600 Meinungs- und Entscheidungsträger des Gesundheitswesens. Der zwei­tägige Kongress richtet sich ganz nach dem Thema «Gesundheit 4.0». Digitale Transformation ist allgegenwärtig, kaum eine Branche oder ein Unternehmen bleibt dabei unberührt. Wie läuft diese Entwicklung im Gesundheitswesen ab, wo stehen wir heute und welches sind die wichtigsten Trends? Die Trendtage Gesundheit 2017 widmen sich diesem digitalen Wandel und ­gehen zentralen Fragen nach.
Weitere Informationen und Anmeldung unter:
Dr. med. Urs Stoffel
Mitglied des Zentral­vorstands der FMH
Seestrasse 49
CH-8002 Zürich