Die Zukunftspläne der jungen Hausärztinnen und -ärzte für ihre Praxistätigkeit

Erst angestellt, dann selbstständig in kleinen ärzteeigenen Gruppenpraxen

Tribüne
Ausgabe
2017/09
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05409
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(09):284–286

Affiliations
Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität Bern

Publiziert am 01.03.2017

Das Durchschnittsalter der Schweizer Hausärztinnen und -ärzte stieg in den letzten zehn Jahren von 51 auf 
55 Jahre, und 15% der Arbeitsleistung werden heute von Hausärzten im Alter über 65 Jahre erbracht [1]. Gemäss derselben Studie werden bis 2025 bis 60% der hausärztlichen Work Force durch altersbedingte Praxisaufgaben verlorengehen. Fast alle (94%) Hausärzte arbeiten selbständig [2]. Deshalb wird es in den nächsten Jahren für die nachkommenden Hausärztinnen und -ärzte ­unzählige Möglichkeiten zu Praxisübernahmen geben. Eine 2011 durchgeführte Studie der Jungen Hausärz­tinnen und -ärzte Schweiz (JHaS) kam jedoch zum Schluss, dass 41% lieber angestellt statt selbständig erwerbend sein möchten [3]. Daraufhin wurde vielfach der Schluss gezogen, dass die Jungen nicht mehr bereit seien, unternehmerische Risiken einzugehen, und schon das Ende der Selbständigkeit der Hausärzte prophezeit. Als wichtiger Grund für den zunehmenden Hausärztemangel wurde teilweise auch die Feminisierung des Arztberufs angeführt, da Teilzeitpensen vor allem von Frauen gewünscht würden.

Résumé

La future génération des jeunes médecins de famille en Suisse souhaite le plus souvent exercer dans un petit cabinet de groupe, pouvant compter jusqu’à cinq collègues, et dont les médecins seraient eux-mêmes propriétaires. La campagne et l’agglomération sont préférées à la ville. Les hommes comme les femmes souhaitent pouvoir travailler à temps partiel, mais les femmes avec un volume de travail un peu plus faible. La jeune génération est favorable aux visites à domicile. L’ambiance de travail est le principal critère de choix d’un cabinet. Pour plus d’un tiers des personnes ayant répondu à l’enquête, la propharmacie augmente l’attractivité d’un cabinet. Les jeunes médecins souhaitent commencer leur carrière comme salarié(e)s, mais veulent être (co-)propriétaires de leur cabinet dans les cinq ans. Seule une minorité d’entre eux envisagent d’être salariés pendant toute leur carrière.
Ein Team von JHaS-Mitgliedern unter der Leitung von Sven Streit am Berner Institut für Hausarztmedizin mit Vertreterinnen des Basler und des Zürcher Instituts wollte es genauer wissen und beschloss, fünf Jahre später die Daten mit einer neuen Umfrage bei unterdessen >450 JHaS-Mitgliedern zu aktualisieren und zu vertiefen. Ziel war es, herauszufinden, ob der Wunsch nach einem Angestelltenverhältnis für die ganze Berufskarriere gilt oder sich mit der Zeit ändert. Weiter wurde untersucht, welche Praxisformen und Arbeitsbedingungen sich zukünftige Hausärzte wünschen und welche Faktoren bei der Wahl einer Hausarztpraxis entscheidend sind. Die Studie wurde kürzlich publi­ziert und lässt sich gratis herunterladen [4]. Dieser Artikel fasst im Folgenden die Kernaussagen zusammen.

Wer sind die Befragten?

An der Studie nahmen 270 JHaS-Mitglieder teil (Rücklauf 61%), 52% waren Assistenzärzte, 40% verfügten über den Facharzttitel, und bei 8% handelte es sich um Studierende. Von den Antwortenden waren 71% Frauen. 91% kamen aus der Deutschschweiz und 9% aus der ­Romandie; die JHaS hatten zu diesem Zeitpunkt noch keine Mitglieder aus dem Kanton Tessin (Verteilung der Teilnehmer siehe Abb. 1). Das Durchschnittsalter lag bei 32,9 Jahren, 81% waren verheiratet oder in einer Partnerschaft lebend, und mehr als ein Drittel hatte Kinder. Die meisten dieser Kinder wurden an mindestens einem Tag pro Woche durch andere Personen als Vater oder Mutter betreut. Von den Teilnehmenden waren 28% bereits Hausärzte, 47% planten, dies in den nächsten fünf Jahren zu werden, 20% innerhalb der nächsten zehn Jahre und die übrigen 5% später.
Abbildung 1: Verteilung der Antwortenden in der Schweiz. Jeder orange Punkt steht für eine/-n Studienteilnehmer/-in. Daten basieren auf der Postleitzahl. Die Grafik wurde ­erstellt unter Verwendung von Google Maps und BatchGeo LLC (http://batchgeo.com).

Gruppenpraxis – klein und ärzteeigen

Schon in der Umfrage von 2011 wurde die Gruppenpraxis als beliebteste Praxisform genannt. Aktuell wurde sie von 86% der Befragten als bevorzugte Praxisform gewählt; 11% zogen die Doppel- und nur noch 2% die Einzelpraxis vor. Die überwiegende Mehrheit (93%) wollte in einer Gruppenpraxis mit zwei bis fünf anderen Kollegen arbeiten. Um die Praxiswahl der jungen Ärzte möglichst realitätsnah zu simulieren, kreierten die Studienautoren acht fiktive Stelleninserate von Gruppenpraxen, deren Attraktivität die Teilnehmenden beurteilten. Diejenigen Inserate, die durch Attribute wie «familiär» und «gut eingespieltes Praxisteam mit 5 MPAs» eine kleine Gruppenpraxis suggerierten, wurden von 78% der jungen Ärzte als attraktiver be­urteilt als die Inserate, die eine grosse Praxis vorgaben (Abb. 2). Bei der Beurteilung der Inserate zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Sprachregionen: Französischsprachige und jene Jungärzte, die in einer Stadt arbeiten wollten, bevorzugten grössere Gruppenpraxen.
Abbildung 2: Welche Gruppenpraxisformen findet die nächste Hausärztegeneration attraktiv?
Weiter unterschieden sich die fiktiven Inserate nach ärzteeigenen und nicht ärzteeigenen Praxen. Hier bevorzugte die grosse Mehrheit (89%) der Antwortenden die ärzteeigenen Praxen (Abb. 2).

Selbstdispensation – 
nicht oberste Priorität

Als drittes Merkmal wurde bei gewissen Inseraten «volle Selbstdispensation» angeboten. Die Auswertung der Antworten ergab bei diesem Kriterium ein weniger eindeutiges Bild: 62% der Befragten bevorzugten die Praxen ohne Selbstdispensation, 38% diejenigen mit (Abb. 2). Von denjenigen, die als Wunschpensum 80 bis 100% angaben, wollte jedoch die Mehrheit selber Medikamente abgeben können. Des Weiteren korrelierten sowohl der Wunsch nach einem fixen Lohn als auch derjenige, selber abrechnen zu können, mit der Bevorzugung der Gruppenpraxen ohne Selbstdispensation, was schwierig zu interpretieren ist. Weitere Korrela­tionen fanden sich nicht. Aus diesen Resultaten nun generell zu schliessen, dass die Jungen keine Selbst­dispensation möchten, ist unserer Meinung nach zu kurz gegriffen, da immerhin fast 40% der Teilneh­menden Praxen mit Selbstdispensation attraktiver fanden.

Land und Agglomeration – 
beliebter als die Stadt

Künftig auf dem Land zu arbeiten war für 43% der Teilnehmenden erklärtes Ziel, gefolgt von der Agglomeration mit 40%. Die Stadt wurde nur von 17% gewählt. Diese Antworten sind denjenigen von 2011 ähnlich. 
Da der Hausärztemangel auf dem Land besonders akut ist, sollten diese Resultate eigentlich ermutigen. Ob sich ­jedoch die jungen Hausärzte wirklich in den Landregionen mit dem grössten Hausärztemangel niederlassen werden, wird erst die Zukunft zeigen. Immerhin lässt sich aus diesen Antworten die häufig vorgebrachte Behauptung relativieren, dass «die Jungen nicht aufs Land wollten».

Hausbesuche – immer noch «in»

Auf die Frage, ob sie Hausbesuche auch ausserhalb ­eines Notfalldiensts machen wollten, antworteten drei von vier Teilnehmenden mit «ja» oder «eher ja». Nur 2% sagten klar «nein», 15% «eher nein», und 7% wussten es nicht. Offenbar schätzen die Jungärzte die Möglichkeit, Patienten umfassend und bei Bedarf auch zu Hause zu betreuen. Ob sie aber langfristig tatsächlich Hausbesuche anbieten werden, dürfte auch von äusseren Bedingungen, zum Beispiel organisatorischer oder finanzieller Art, abhängen.

Arbeitsklima – entscheidend 
bei der Praxiswahl

Die meisten Antworten auf die Frage nach den drei wichtigsten Faktoren bei der Wahl der zukünftigen Hausarztpraxis konnten sieben Bereichen zugeordnet werden (Tab. 1). Fast drei Viertel aller Jungärzte gaben das Arbeitsklima als einen der drei Faktoren an. Als weitere wichtige Faktoren wurden in absteigender Häufigkeit der Standort, das Arbeitspensum, die Infrastruktur, Gruppenpraxis, Selbständigkeit und das medizinische Angebot der Praxis genannt.
Tabelle 1: Die wichtigsten Faktoren bei der Wahl einer Hausarztpraxis. Da alle Teilnehmenden 3 Antworten geben konnten, ergibt die Summe >100%.
PrioritätBereichHäufigkeit 
der NennungGenannte Faktoren
1Arbeitsklima72%Team, kollegial, gute Zusammenarbeit
2Standort52%Wohnortsnah, ländlich
3Arbeitspensum34%Teilzeitarbeit, flexible Arbeitszeiten
4Infrastruktur22%Gute Ausstattung, Praxisräume, 
modern, elektronische KG
5Gruppenpraxis14%Gruppen-, Gemeinschaftspraxis
6Selbständigkeit14%Unabhängigkeit, Selbständigkeit
7Praxisangebot11%Vielseitiges Angebot, interdisziplinär, Komplementärmedizin

Teilzeit – eine Generationenfrage

Das durchschnittliche Wunschpensum aller Antwortenden betrug 70%. Die Männer wollten im Durchschnitt 78%, die Frauen 66% arbeiten (Basis: 50-Stunden-Woche = 100%). Damit bestätigt sich der bereits 2011 geäusserte Wunsch beider Geschlechter nach einem Teilzeitpensum. Die Feminisierung des Hausarztberufs erklärt den zunehmenden Wunsch nach Teilzeitarbeit somit nur zu einem kleinen Teil. Der Wunsch nach einem reduzierten Pensum scheint eine Generationen- und nicht eine Geschlechterfrage zu sein. Hinweise auf wichtige Gründe beider Geschlechter für ein Teilzeitpensum gibt uns eine Erhebung des VSAO, wo die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf an erster Stelle stand (71%), gefolgt von längeren Erholungsphasen (15%) [5]. Wie sich das Wunscharbeitspensum im Verlauf einer Berufskarriere – auch in Korrelation mit sich verändernden familiären Situationen – entwickelt, wäre ein interessantes Thema für weitere Studien.

Selbständigkeit – ja, nach fünf Jahren

Im Gegensatz zu 2011 wurde nicht nur gefragt, ob 
die jungen Ärzte angestellt oder selbständig arbeiten möchten, sondern spezifischer in Bezug auf die erste Hausarztstelle sowie die längerfristige Berufstätigkeit. Bei der ersten Stelle als Hausarzt oder Hausärztin wollten 89% angestellt arbeiten, doch davon wollen 90% innerhalb von fünf Jahren selbständig werden. Nur 7% planten, während ihrer gesamten Praxistätigkeit angestellt zu bleiben. Bei der Frage nach langfristigen Plänen gaben fast drei Viertel der Befragten an, dass sie Eigen­tümer (bei einer Einzelpraxis) oder Partner (bei einer Gruppenpraxis) sein wollten, knapp ein Drittel, dass sie angestellt sein wollten, aber mit Beteiligung an der Praxis (z.B. in Form von Aktien), und nur 9%, dass sie langfristig angestellt sein wollten. Eine Karriere als ärztlicher Leiter oder Geschäftsführer einer grösseren Gruppenpraxis konnten sich 11% bzw. 7% vorstellen (wegen der Möglichkeit zu Mehrfachantworten ist die Summe >100%). Der Wunsch nach Selbständigkeit bzw. finan­zieller Verantwortung widerspiegelte sich auch darin, dass die grosse Mehrheit der Antwortenden selber abrechnen wollte oder ein Modell mit einem fixen Lohnanteil und einer Umsatzbeteiligung wünschte.
Mit diesen Resultaten kann heute ein klareres Bild 
der Wünsche der zukünftigen Hausärztegeneration ­betreffend den Erwerbsstatus gezeichnet werden: Die allermeisten jungen Hausärzte möchten ihre ersten Kar­riereschritte als Angestellte machen, aber innerhalb von fünf Jahren finanzielle Verantwortung für die Praxis übernehmen.

Zukunftsperspektiven

Basierend auf den durch diese Studie gewonnenen ­aktuellen Schweizer Zahlen lassen sich Empfehlungen ableiten, wie Hausarztpraxen für Medizinstudierende und junge Ärzte attraktiv gestaltet werden können, was auch im Hinblick auf die Nachfolgeplanung relevant sein kann:
– Gründung ärzteeigener Gruppenpraxen von bis zu sechs Hausärzten, in der Romandie eher grössere Praxen, bzw. Möglichkeiten anbieten, dass junge Hausärzte solche Strukturen schaffen können
– Im Praxisalltag aktiv eine wertschätzende Teamkultur pflegen
– Die Praxisstruktur so konzipieren, dass mit reduzierten Arbeitspensen eine gute hausärztliche Versorgung gewährleistet ist
– Sukzessionsmodelle vom Angestellten, zum (Mit-)Eigentümer und möglichen Praxisnachfolger so gestalten, dass die beruflichen Entwicklungsschritte der jungen Hausärzte auf die sich verändernden ­Lebensumstände abgestimmt werden können
Dr. med. Sven Streit
Leiter Nachwuchs & Vernetzung Hausärzte
Universität Bern
Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM)
Gesellschaftsstrasse 49
CH-3012 Bern
sven.streit[at]biham.unibe.ch
1 Zeller A, Tschudi P. «Anamnese und Status» bei Schweizer Hausärzten. Primary and Hospital Care 2016;16(15):277–80.
2 Merlo P. Work Force Hausarztmedizin in der Schweiz 2015. Unpublizierte Dissertationsarbeit am Universitären Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel.
3 Streit S. Moderne Praxisformen. Primary Care 2011;11(19):342–3.
4 Gisler LB, Bachofner M, Moser-Bucher CN, Scherz N, Streit S. From practice employee to (co-)owner: young GPs predict their future careers. A cross-sectional survey. BMC Family Practice 2017. doi: 10.1186/s12875-017-0591-7.
5 Hess B. Ein Drittel will Teilzeit arbeiten. VSAO Journal 2016;35(2):12–3.