Textile Umwege

Horizonte
Ausgabe
2017/13
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05448
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(13):419

Affiliations
Dr. med., Mitglied der Redaktion

Publiziert am 29.03.2017

Kleider sind zu billig, wir kaufen viel mehr davon, als wir brauchen. Welchen Preis sozial und ökologisch andere dafür bezahlen, zeigt im Textilmuseum St. Gallen die Sonderausstellung Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode. Fast Fashion steht als Synonym für ein ­massenproduziertes Modeprodukt, für ein spezifisches Produktions- und Vertriebssystem mit dem Ziel, in immer kürzeren Abständen neue Mode in die ­Geschäfte zu bringen. In der Hierarchie der Modeschöpfer ist die schnelle Mode ganz unten angesiedelt, nach der Haute Couture, der Prêt-à-porter-Mode und der Konfektionsware im mittleren Preissegment. Viele Akteure sind an der textilen Kette von der Herstellung über die Konfektionierung bis zur Entsorgung beteiligt. Diese globale Arbeitsteilung schickt eine gewöhnliche Jeans auf eine 40 000 Kilometer lange Weltreise mit Stationen in acht Ländern. Auch eine gebrauchte Bluse schafft bis zur Wiederverwertung fast die Hälfte dieses Weges.
Die Billigmode macht auch vor der Berufswelt der ­Medizin und Pflege nicht Halt. Erfreulich für die Trägerinnen und Träger ist das bunte Sortiment an ele­ganten taillierten Kasacks, irischgrünen Blusen und ­königsblauen Hosen, Lipstick-Leggings, Limette-citron-­Jacken, Longshirts und Schürzen aus dem unteren bis mittleren Preissegment. Das Angebot ist zweifellos auf Seite der Konsumenten. Da die Hygiene im Medizinalbereich ein Waschen mit hohen Temperaturen erfordert, macht die reine Baumwolle den Hauptanteil der verwendeten Fasern.
Als Paradebeispiel dient in vielen Vergleichen zur Preiszusammensetzung oder des Energieverbrauchs ein T-Shirt oder eine einfache Bluse. Allein die Herstellung benötigt im konventionellen Baumwollanbau etwa 2000 Liter Wasser, dazu kommen Pestizide, Dünger und bei der folgenden Fertigung auch Chemikalien, wie das synthetische Indigoblau für die beliebten Jeans. Bei angenommenen 25 Waschgängen bei 60 Grad Celsius, Trocknung im Tumbler und anschliessendem ­Bügeln eines T-Shirts verursacht die Nutzung fast 60 Prozent des primären Energieverbrauchs. Ohne Tumblern würde sich die Energiemenge halbieren.
Spitalwäsche ist in Sachen Energieverbrauch ein Sonderfall, denn sie muss vielen Anforderungen genügen. Nirgendwo sonst sind die Hygienevorschriften rigo­roser. Gebrauchte Abdecktücher aus dem OP, verschmutzte Bettbezüge, kontaminierte Wäsche, Berufskleider, alles wird sortiert, separat abgepackt, getrennt transportiert und je nach Verschmutzung aufwendig gereinigt. Wer seine Kleidung vom Spital bezieht, braucht sich über Ressourcen keine Gedanken zu machen. Eine externe Wäscherei besorgt die Reinigung, und eine Leasingfirma regelt den Nachschub.
Auch umweltbewusste Einkäufer haben es nicht leicht. Unzählige Produktelabels, Verhaltensregeln, Zertifikate und gesetzliche Vorgaben versuchen die unübersichtlichen Wege der Textilien zu regulieren. Dennoch gibt es kein Label, das eine sozial- und umweltverträgliche Produktion garantiert. Fairtrade International bietet dafür noch am ehesten Gewähr, da die Standards vom Anbau der Baumwolle bis zum Verkauf überprüft werden.
Doch einmal ist Schluss. Täglich fallen in der Schweiz rund 150 Tonnen Altkleider an. Gut erhalten, wird ­etwas weniger als die Hälfte second hand im In- oder Ausland weiter getragen. Sind die Kleider nicht mehr tragbar, enden sie als Putzlappen, Dämmstoffe, Geotextilien und Papierzugabe oder dienen als Heizmaterial. Das farblich sortierte Material wird vor allem in Indien, zusammen mit ausgedienten Baumwolltüchern, zerkleinert und zu einem minderwertigen Garn verwoben. So endet vielleicht auch die Spitalwäsche als wärmende Decke für die Armen oder in den Depots der Katastrophenhilfe.
Die Textilwirtschaft hat, nicht erst seit dem verheerenden Fabrikeinsturz in Bangladesch, einen schlechten Ruf. Doch sie hat als Schlüsselindustrie einer Wirtschaftsentwicklung, die Ungelernten Arbeit und Lohn bieten kann, langfristig auch nachweisbar positive Auswirkungen. Die Ausstellung im Textilmuseum gleicht einem Lehrgang durch die Mechanismen einer globalen Wirtschaft mit allen ihren Widersprüchen. Dabei wird klar, dass ein grosser Teil der Verantwortung nicht nur in der Modewelt, sondern bei allen Konsumenten liegt.