Mit einheitlicher Finanzierung die Prämien entlasten!

FMH
Ausgabe
2017/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05471
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(11):329

Affiliations
Dr. med., Präsident der FMH

Publiziert am 15.03.2017

Die steigenden Krankenkassenprämien sind ein Dauerthema. Dass der wahrgenommene Handlungsdruck in der Politik aber eine neue Qualität erreicht, zeigen die aktuellen parlamentarischen Forderungen nach Staatstarifen und Globalbudgets.1 Dieses ernsthafte Erwägen einer Rationierung in der ambulanten Versorgung ist vor allem wegen der ungünstigen Auswirkungen auf Patientenversorgung und Kostenentwicklung unverständlich. Darüber hinaus irritiert auch, dass die Politik gleichzeitig das grösste Hindernis für Effizienzgewinne seit Jahren ungelöst vor sich herschiebt: die unterschiedliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen. Lassen Sie mich ein paar Fakten aufführen, die nachdenklich stimmen sollten:
Krankenkassenprämien spiegeln nicht die Gesundheitskosten wider: Alljährlich hören wir, dass die Gesundheitsausgaben wachsen und folglich auch die Prämien steigen müssten. Dabei fallen entscheidende Details meist unter den Tisch: Nur 37%2 
der Gesundheitsausgaben werden über Prämien finanziert. Und: Die Gesundheitsausgaben sind seit 1996 um 72% gestiegen, die Prämien hingegen um 107%3, also deutlich stärker! Wie kann das sein?
– Einsparungen durch konsequentes «ambulant vor stationär» führen zu Prämienerhöhungen: Ambulante Behandlungen werden bisher zu 100% über Prämien finanziert, stationäre Behandlungen aber mehrheitlich über Steuern. Wenn nun, bedingt durch den medizinischen Fortschritt, stationäre Behandlungen ambulant durchgeführt werden, entfällt die Steuersubvention. Die Folgen: Die Prämien steigen – obwohl die Behandlungskosten reduziert werden! Damit erhöht sich auch der Anteil der ­Gesundheitsausgaben, der über die Krankenkassen-Kopfprämien finanziert wird.
Der ambulante Bereich ist Kostendämpfer – nicht Kostentreiber: Ambulante Versorgung ist eine sehr kostengünstige Behandlungsform. Wer den Kostenanstieg im Gesundheitswesen mildern möchte, muss die ambulante Versorgung darum ausbauen – nicht einschränken! Eine Analyse von PwC Schweiz4 zeigte vor kurzem, dass die ungenutzten ambulanten Möglichkeiten ein Sparpotential von jährlich ­einer Milliarde Franken bergen. Dies zeigt deutlich, dass Kostensteigerungen im ambulanten Bereich nicht selten ungleich grössere Einsparungen an ­anderen Orten gegenüberstehen.
Die Fehlanreize unseres Finanzierungssystems verhindern das Realisieren von Sparpotential. Beispiel: Eine Krankenversicherung, die konsequent auf «ambulant vor stationär» setzt, indem sie z.B. stationäre Kostengutsprachen besonders kritisch prüft, würde den Kantonen zwar viel Geld sparen, müsste die deswegen zunehmenden ambulanten Behandlungen aber vollständig alleine finanzieren. Folglich müsste sie die Prämien erhöhen und würde Versicherte an die Konkurrenz verlieren. Die mit ­einer Reduktion von stationären Behandlungen verbundenen Einsparungen können heute kaum an den Prämienzahler weitergegeben werden.
In unserem Gesundheitssystem werden Sparpoten­tiale nicht realisiert, weil der Nutzen nicht bei dem­jenigen anfällt, der den Aufwand dafür betreibt – oder der Einsatz für Effizienzgewinne sogar deutliche Nachteile bringt. Bei einer einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen stünde hin­gegen 
das gemeinsame Interesse möglichst geringer Gesamtkosten im Vordergrund. Die Umstellung wäre einfach, wenn ein konstanter Finanzierungsanteil der Kantone neu über eine gemeinsame Einrichtung einflies­sen würde. Die kantonale Versorgungsverantwortung bliebe gewahrt. Bevor Staatstarife und rationierende Global­budgets diskutiert werden, gilt es dieses prämienentlastende und ohne Versorgungseinschränkungen realisierbare Sparpotential auszuschöpfen.