Mobile Health holt uns ein − mit welchen Konsequenzen?

FMH
Ausgabe
2017/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05510
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(12):359

Affiliations
Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortliche Digitalisierung/eHealth

Publiziert am 22.03.2017

Mobile Health (mHealth) bezeichnet gesundheitsbe­zo­gene Anwendungen auf mobilen Geräten wie Smartphones, Tablets, Uhren usw. Auch medizinische Informationen, welche über Sensoren gewonnen werden, fallen unter mHealth. mHealth umfasst damit einen Teil von Electronic Health (eHealth), welche alle elektronischen Gesundheitsdienste umfasst [1]. Von einigen Fachleuten wird die rasende Entwicklung und Verbreitung von mHealth als disruptiv verstanden und verglichen mit der Veränderung der Informationsbeschaffung mit der Einführung des Internets [2]. Die Wucht, mit welcher sich mHealth vor allem über die techno­logische Entwicklung als Marktangebot positioniert, ist gross. 2014 gab es global 6 Milliarden Subskriptionen [3]. Heute ­gehen wir davon aus, dass zwischen 200 000 und 300 000 Apps auf dem Markt sind und 500 Millionen Menschen sie nutzen, noch weitgehend unabhängig von der Ärzteschaft [4]. Damit sprechen wir vom global am stärksten wachsenden Industriezweig.
Es liegt auf der Hand, dass diese Entwicklung für die Gesundheitsversorgung Konsequenzen hat. Wenn sich Technologien wie im ICT-Bereich schnell entwickeln, sind in der Regel alle Beteiligten überfordert. Wirtschaftliche Partikularinteressen als Treiber dieser Entwicklung stellen im sensiblen und stark regulierten Gesundheitsmarkt eine ethische Herausforderung dar. Zukünftige Chancen und Risiken müssen als Hypo­thesen formuliert werden. Orientierung geben grund­legende standespolitische Werte und die wissensbasierte Erfassung von Trends. Im Februar dieses Jahres organisierte Public Policy Exchange für Stakeholder eine Tagung in Brüssel zum Thema «The future of ­Mobile Health in Europe».
Professor Thuemmler [5] fasste die Trends prägnant ­zusammen:
– Daten werden vermehrt auf den eigenen mobilen Geräten gesammelt und verarbeitet, und zwar von Patientinnen und Patienten als auch von der Ärzteschaft.
– Anwendungsbasiert werden Rechenleistung und Datensammlung respektive -verarbeitung an unterschiedlichen Orten geschehen: lokal (Edge Computing) oder über das Internet (Cloud Computing).
– Im Sinn eines neuro-empirischen Vorgehens folgt die Datenverarbeitung zunehmend neurobiologischen Prinzipien.
– Industrieinteressen globaler und nationaler Anbieter (Apple, Google, Microsoft, Sanofi, Siemens, Swiss­com etc.) beinhalten Risiken im Bereich Datenschutz und Datensicherheit.
Für Ärztinnen und Ärzte stellt sich die Frage, wie sie die notwendigen Fähigkeiten erwerben und ihr Arbeits­umfeld gestalten im Zeitalter der vierten Revolution. 2016 veröffentlichte eine interprofessionelle Basisbewegung von jungen Gesundheitsfachpersonen eine Umfrage in Europa zu ihren digitalen Kompetenzen [5]. Mehr als die Hälfte gab an, kein professionelles Training erhalten zu haben. Es resultierten zwei Hauptforderungen:
– Digitale Kompetenzen bedingen ein massgeschneidertes professionelles Training als obligatorischer Teil der Aus- und Weiterbildung.
– Die Anwendung digitaler Kompetenzen kann ge­fördert werden durch geeignete finanzielle Vergütungssysteme.
Diese pragmatischen Forderungen bedeuten für Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz, dass Studienplätze für ein postgraduate Studium in Medizininformatik geschaffen werden müssen. Auch mit digitalen Kompetenzen bleibt die ärztliche Arbeit eine Dienstleistung, die von Mensch zu Mensch erbracht wird. Mittel, welche in Digitalisierung, eHealth und mHealth flies­sen, stehen immer in Konkurrenz zu Mitteln, welche Grundwerte ärztlichen Handelns lehren. Dazu gehören u.a. Sozialkompetenzen, die Befähigung zu kritischer Selbstreflexion und klinische Ethik.