Verdienst-Unterschiede zwischen Ärzten sind gravierend und durch nichts zu rechtfertigen

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2017/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05733
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(23):722

Publiziert am 07.06.2017

Die Verdienst-Unterschiede zwischen Ärzten ist gravierend und durch nichts zu rechtfertigen

Brief zu: Völlm K. Die Revision des ärztlichen Leistungstarifs. Schweiz Ärztezeitung. 2017;98(19):612–3.
In letzter Zeit scheinen tarifpolitisch die Bedrohungsszenarien in immer kürzeren Abständen aufgefahren zu werden. Wie immer, wenn die Politik eingreift, deren Vertreter nicht nur im Gesundheitsbereich von wenig Sachkenntnis behindert werden, wird hinterher oft alles nur noch schlimmer.
Es sieht ganz danach aus, als ob es der Ärzteschaft nicht gelingen wird, ein Tarifsystem zu liefern, das alle beteiligten Gruppen zufrieden stellt und Kostenneutralität, wenn nicht gar -reduktion herstellt. Wie auch, die Partikularinteressen sind zu divergierend. Da die Ärzteschaft sich offensichtlich nicht in der Lage sieht, zu diesem Thema eine geschlossene Haltung zu finden, darf sie sich nicht wundern, wenn dies von der Politik als Schwäche aufgefasst wird.
Wie gross die Differenzen innerhalb unseres Standes sind, habe ich kürzlich selbst erleben dürfen. Ich suche seit geraumer Zeit einen Nachfolger für den Übergang in die Nachberufsphase.
Auf die entsprechenden Annoncen kamen viele Meldungen, die meisten aus dem nahen Ausland. Es meldete sich auch ein Makler für deutsche Interessenten, der mich nach meinem Gehaltsangebot fragte, für avisierte 70 Prozent. Ich nannte eine Summe, umgerechnet von meinem Vollzeitverdienst. Die umgehende Antwort des Maklers: viel zu wenig, er habe gerade eine Kollegin für das Dreifache an Jahreseinkommen an eine Gemeinschafts­praxis in Zürich vermittelt. Ich antwortete dem freundlichen Herrn, dass ich als normaler Allgemeinmediziner einfach nicht mehr verdiene. Zurück kam eine Entschuldigung, man habe die Fachgruppe verwechselt, es handelte sich nicht um einen Allgemeinmediziner, sondern um ebenfalls einen mit A beginnenden Augenarzt. Ich verstand sofort – alles. So ist das nun bei uns in der Ärzteschaft, und wir wundern uns, dass dem nicht mehr lange zugesehen wird? Vielleicht sollten wir doch endlich mal anfangen, über Geld zu reden, in klaren, ganzen Zahlen? Transparenz anstreben?
Der freundliche Makler bot mir auch gleich einen Allgemeinarzt-Kollegen an für das von mir genannte Gehalt, mit reduzierter Be­geisterung wegen reduzierter Tantiemen. Ich lehnte dankend ab.
Die Verdienst-Unterschiede zwischen den Ärzten sind gravierend und durch nichts zu rechtfertigen in diesem Ausmass. Sie werden mit Zähnen und Klauen verteidigt, so lange, bis es nichts mehr zu verteidigen gibt.
Im als Musterbeispiel für Sparen angeführten Deutschland ist mittlerweile die niedergelassene Medizin weitgehend pauschalisiert. Die anfänglichen Ersparnisse relativierten sich bald und kehrten sich nach wenigen Jahren in Kostensteigerungen um, wie stets, wenn Politik die Initiative ergreift.
Als deutscher Arzt bin ich schon 2002 in der Schweiz tätig und erlebe ein Déjà-vu mit 15 Jahren Verzögerung. Der oft zu lesende Politikerverweis auf den deutschen Nachbarn sollte bei eidgenössischen Kollegen die Alarmglocken schrillen und sich rasch an einen Tisch setzen lassen. Nach meinen jüngsten Erfahrungen bin ich jedoch skeptisch. Ich erinnere an Seehofer, Schmidt, Memoranden, Selbst­behalte, Praxisgebühr etc. – man muss ja nicht jeden in Kostensteigerungen endenden Mist nachmachen. Vorschläge von Ärzten werden von der Politik zusehends ignoriert. Unsere fachspezifische Autorität scheint in der Politik aufgebraucht, die Freiheit unseres schönen Berufes scheint in Gefahr.