Ärztliche Leistungen in Abwesenheit des Patienten

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2017/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05744
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(23):723

Publiziert am 07.06.2017

Ärztliche Leistung in Abwesenheit 
des Patienten

Offener Brief an die Abteilung Leistungen des Bundesamts 
für Gesundheit (BAG)
Sehr geehrte Damen und Herren
Ich arbeite als junge Hausärztin im Kanton Zürich. Es gibt sie noch, die optimistischen, motivierten und Schweizerdeutsch sprechenden jungen Männer und – in meinem Fall – Frauen, die ihre Berufung in der Hausarzt­medizin sehen. Neben 3 Kleinkindern und einem Haushalt.
Ich habe es satt, in den Medien, den Konsumentenmagazinen, einfach überall zu hören: Die Ärzte verrechnen mehr Leistungen, als 
sie wirklich vollbringen, sie verkaufen teure ­Medikamente, sie lassen sich von der Pharma sponsern, sie bieten überteuerte Spezial­leistungen an, sie machen unnötige Abklärungen.
Noch nie habe ich bei der Abgabe eines Medikamentes auf die Marge geachtet, ich gebe meist das für den Patienten günstigste. Die Marge ist mir gar nicht bekannt. Noch nie habe ich eine Abklärung gemacht, weil sie Geld bringt. Ich röntge, wenn es nötig ist, ich schicke die Patienten ins MRI, wenn ich eine konkrete Fragestellung habe. Die Patienten verlangen oft eine Bildgebung, um sich ab­­zusichern. Nicht immer gelingt es mir, dies zu ­verhindern, aber ich bemühe mich. Von der Pharma habe ich bis auf ein paar Kugelschreiber, Patienteninfomaterial oder mal ein Sachbuch noch überhaupt gar nie etwas geschenkt bekommen. Abgesehen vielleicht noch von ein paar Gipfeli für die Arztgehilfinnen.
Und was mich vor allem ärgert, diese ewige Diskussion über die «ärztliche Leistung in Abwesenheit des Patienten», «AL». Meint eigentlich die Politik und die Bevölkerung, wir Ärzte wollen diese «AL» verrechnen? Das wollen wir gar nicht. Die Leistung und die Verrechnung von «AL» sind das Langweiligste überhaupt. Ich will am Patienten arbeiten, mit dem Pa­tienten in der Sprechstunde. Ich will doch nicht arbeiten, ohne einen Patienten vor mir zu ­haben. Nur werde ich leider dazu gezwungen, ich muss Berichte studieren, ich muss Telefonate mit Krankenassen, Arbeitgebern und Angehörigen führen. Ich beantworte Mails und ­Anfragen.
Dies nimmt einen nicht unerheblichen Teil meiner Arbeitszeit in Anspruch. Zum Glück nicht ganz so viel wie damals noch im Spital, dort hat die Dokumentation ja übermässig verrückte Grössenordnungen angenommen.
Also, liebe Damen und Herren und lieber Herr Bundesrat Berset: Falls die Abrechnungsposition «AL» limitiert oder abgeschafft wird, dann will ich Folgendes wissen. Wie verrechne ich in Zukunft ein Mail an den Patienten? Ein ­Telefon mit der Mutter eines Kindes? Ein Telefon mit den Angehörigen oder der Spitex bei einem dementen Patienten? Ein Telefon mit dem Arbeitgeber? Das Lesen eines langen Spitalberichtes? Eine Anmeldung an die Radio­logie? Eine Rückfrage ans Labor?
Ich würde mich über eine Antwort freuen und stehe auch bei Fragen gerne zur Verfügung.