Kinder machen

Horizonte
Ausgabe
2017/47
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05763
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(47):1592–1593

Affiliations
Dr. med., Mitglied der Redaktion

Publiziert am 21.11.2017

«Frauen, die ein Kind wünschen, gehen dafür bis ans Ende der Welt», weiss die Gynäkologin aus Bern. Und noch viel weiter, möchte man dem anfügen, wenn man sich den Film von Barbara Burger anschaut. Ihr Dokumentarfilm, der im Herbst 2017 in die Kinos kommt, schaut tief in die Reagenzgläser der Reproduktionsmedizin, faktenreich, nüchtern, ohne moralische Wertung. Im Dreieck einer Praxis in Bern, einer Privatklinik in München und einer Industriemesse in Barcelona rückt alles ins Blickfeld, was an technischem Aufwand heute möglich ist. Vor allem die Macher kommen zur Sprache, Ärztinnen, Laborantinnen und Embryo­loginnen. Auch ein Physiker, dessen Laserapparate die Präimplantationsdiagnostik ermöglichen, die in der Schweiz im Juni 2016 von zwei Dritteln der Stimmenden bejaht wurde. Ovarien werden stimuliert, mehrere Eizellen abgesaugt, und für die In-vitro-Fertilisation (IVF) vorbereitet. Wo nur wenige Spermien vorhanden sind, werden die beweglichsten aussortiert, bevor die Mikropipette mit dem Auserwählten die Eihülle durchsticht. Bis zum fünften Tag wird die Zellteilung der Embryos kontrolliert, dann befördert die Transfersonde eine Blastocyste in den Uterus, was bei rund einem Drittel schon beim ersten Versuch zum gewünschten Resultat führt. Zwei Wochen später zeigt der Ultraschall den ersten Herzschlag. Dieser Vorgang ist schon seit Jahren Routine. Wer keine geeigneten Eizellen hat sucht sich eine Eizellenspenderin in Spanien oder Russland, vielleicht sogar eine Leihmutter in Ländern, wo der Gesetzgeber keinen Regulierungsbedarf sieht. Eine Welt aus Mikroskopen, Sonden, Brutkästen und Petrischalen und Biobanken. Mit dem ­Social Freezing, dem Einfrieren zwecks späterer ­Verwendung, stehen die Kryokammern und die Auftauschalen im Mittelpunkt. Im flüssigen Stickstoff warten hunderte Eizellen, geschützt durch ein Frostschutzmittel, auf ihre Implantation. Es besteht kein internationaler Konsens über die Gefrierdauer und das Alter der Empfängerinnen. Schritt für Schritt werden weitere Möglichkeiten ausgebaut. Ein Laserstrahl entnimmt dem fünf Tage alten Embryo einige Zellen zur genetischen Untersuchung. Die Wunde scheint komplika­tionslos auszuheilen. Der Film zeigt, wie ­Anwender an Workshops in Barcelona diese Technik an Mäuse­embryonen üben. Der nächste Akt demonstriert im Tierversuch, wie ein Laserstrahl die embryonale Hülle aufschlitzt, damit die Nidation erleichtert und so die Chance einer Schwangerschaft am gewünschten Ort verbessert. Die ersten klinischen Versuche an ­Menschen sind programmiert.
Die hochtechnisierte Reproduk­tionswelt entwickelt ihre eigenen Rituale. Eltern nehmen Abschied von ungebrauchten Embryonen, Frauen wählen zum Embryonaltransfer die passende Musik. Ein Elternpaar möchte keine Blastocyste, die nicht zum gewünschten Sternzeichen passt. Kundinnen wollen über das Geschlecht und weitere Eigenschaften entscheiden. In den riesigen Messehallen in Barcelona reiht sich ein Stand am anderen. Im globalen Markt schieben neue Erfindungen die Grenzen des Machbaren immer weiter hinaus. Was eine Zellentnahme langfristig für Folgen hat, weiss noch niemand. Einige erste Beobachtungen sprechen für ein erhöhtes Geburtsgewicht. Niemand kann sich vorstellen, was in zwanzig Jahren sein wird. Vielleicht ist eine IVF der Normalfall, ebenso wie das Social Freezing für zahlungskräftige Abnehmer. Natürlich fragen sich alle Ethikkommissionen, ob alles Machbare auch wünschbar ist. Solange nichts schief geht, läuft der Trend ungebrochen weiter. Die Frage müsste lauten, warum es in unserer Gesellschaft so wichtig ist, ein Kind zu bekommen. Welche Phantombilder Frauen und Männer dazu antreiben den ganzen Weg einer reproduktiven Medizin mit allen Risiken und Unannehmlichkeiten zu ­beschreiten, von den ­finanziellen Opfern gar nicht zu reden.
Der gut gemachte Dokumentarfilm weiss darauf auch keine Antwort. Barbara Burger zeigt uns den technischen Aufwand, der Nicht-Spezialisten kaum bekannt sein dürfte. Die Manipulationen an einer Mikrowelt in Grossaufnahmen haben den Charme einer Mondlandung. Das Abstimmungsverhalten hätte der Film 2016 wohl kaum beeinflusst. Sehenswert ist er aber auf jeden Fall.

Kinder machen

Ein Dokumentarfilm von Barbara Burger
Fair & Ugly Filmproduktion GmbH Bern
Dauer: 82 Minuten
Filmstart: 30. November 2017