Lieferengpässe

Lieferengpässe – Wie steht es um die Arzneimittelversorgung in Schweizer Spitälern?

Tribüne
Ausgabe
2017/33
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05787
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(33):1040–1042

Affiliations
a Dr. rer. nat., Spitalapotheker, Universitätsspital Basel, b Dr. rer. nat., Spitalapothekerin, Kantonsspital Baselland
Für die Arbeitsgruppe Ökonomie und Versorgung der GSASA, Schweizerischer Verein der Amts- und Spitalapotheker

Publiziert am 16.08.2017

Das Problem der Lieferengpässe von Arzneimitteln beschäftigt die involvierten Personen in den Spitälern (Apotheker, Ärzte, Pflege) seit vielen Jahren. Für das Universitätsspital Basel wurden bereits in der Vergangenheit Untersuchungen zu diesem Thema angestellt, weshalb hier entsprechende Zahlen existieren [1]. So hatten das Universitätsspital Basel z.B. im Winter 2014/2015 mit länger dauernden Lieferschwierigkeiten der parenteralen Formen von Augmentin zu kämpfen, die nur durch eine effiziente Zusammenarbeit der Spitalapotheke mit den Ärzten der Infektiologie gemanagt werden konnten. Der in solchen Fällen notwendige Einsatz von Alternativpräparaten verläuft nicht immer problemlos und bindet erhebliche personelle Ressourcen. Umso wichtiger sind eine lückenlose Dokumentation von Lieferengpässen, ein effizientes Management in der Apotheke und eine professionelle Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten, um die zuverlässige Versorgung der Patienten im Spital mit Arzneimitteln zu gewährleisten [2].

Résumé

Les problèmes de ruptures de stock affectent non seulement les pharmaciens d’hôpitaux, mais aussi les médecins, le personnel soignant et enfin les patients. Parmi les produits les plus touchés, on distingue des prépa­rations hospitalières spécifiques comme les cytostatiques ainsi que, ces dernières années, des antibiotiques et des vaccins. Etant donné le caractère récurrent des pénuries de préparations essentielles, notre groupe de travail économie et approvisionnement de la GSASA (Association suisse des pharmaciens de l’administration et des hôpitaux) a jugé pertinent d’analyser la situation dans les hôpitaux suisses en 2014 et 2015. Nous avons utilisé un questionnaire afin d’établir dans quelle mesure les ruptures de stock sont documentées par les pharmacies d’hôpitaux et de définir ensuite le degré d’exploitation des données collectées. Cette analyse doit permettre en outre d’obtenir une image globale des problèmes d’approvisionnement de médicaments dans les hôpitaux suisses.

Wie sieht die Situation aktuell aus?

Das Thema Lieferengpässe und Versorgungssicherheit ist ein Schwerpunktthema der GSASA-Arbeitsgruppe Ökonomie und Versorgung. Da bislang eher punktuelle Zahlen und Daten vorliegen, eine schweizweite Übersicht in den Spitälern jedoch fehlt, sollte die Situation durch eine Umfrage näher untersucht werden.
Wir haben zu diesem Zweck einen aus 11 Punkten bestehenden Fragebogen zur Erhebung der Lieferengpasssituation in Deutsch und Französisch entworfen, um einen möglichst umfassenden Überblick über die Situation in der gesamten Schweiz in den Zeiträumen 2014 und 2015 zu erhalten. Die Fragebögen wurden über das Sekretariat der GSASA per E-Mail an alle Chef­apotheker gemäss Adressverzeichnis versandt.
Das Ziel der Untersuchung war einerseits, zu erfahren, ob Lieferengpässe von Arzneimitteln in den Spital­apotheken erfasst und ob die erhobenen Daten bewertet werden. Zum anderen wollte sich die Arbeitsgruppe einen generellen Überblick über die Situation von Lieferengpässen in den Spitälern der Schweiz verschaffen und detaillierte Informationen zusammentragen. Hierzu wurden die in Tab. 1 aufgeführten Fragen gestellt.
Tabelle 1: Fragebogen zur Erhebung der Lieferengpasssituation in Schweizer Spitälern.
Frage 1Wie viele Betten versorgt Ihre Spital-Apotheke? (Anzahl Betten)
Frage 2Erfassen und dokumentieren Sie in Ihrer Spital­apotheke die Lieferengpässe von Arzneimitteln? (Ja/Nein)
Falls Frage 2 mit Ja beantwortet wurde, schlossen sich die folgenden Fragen an:
Frage 3Wie viele Lieferengpässe von Arzneimitteln haben Sie für die letzten beiden Jahre jeweils gesamthaft dokumentiert? (Anzahl Lieferengpässe)
Frage 4Wie lange dauerten Ihre dokumentierten Lieferengpässe im Durchschnitt? (Angabe des Durchschnittswertes in Tagen)
Frage 5Welches war die maximale Dauer eines dokumentierten und abgeschlossenen Lieferengpasses? (Angabe des Maximalwertes in Tagen)
Frage 6Welche Ersatzmassnahmen haben Sie wie häufig getroffen? (Vorgegebene Auswahl)
Frage 7Erfassen Sie die Mehrkosten (nur Produktekosten), welche unter Umständen durch die Beschaffung von Ersatzpräparaten (ohne Eigenherstellung) entstehen? (Ja/Nein)
Frage 8Falls ja, welche Mehrkosten sind Ihnen durch 
die Beschaffung von Ersatzpräparaten entstanden? (Angabe in CHF)
Frage 9Welche 5 ATC-Gruppen waren am häufigsten betroffen? (Angabe der ATC-Gruppen)
Frage 10Welche 5 Hersteller waren am häufigsten 
von einem Lieferengpass betroffen? (Angabe 
der Firmen)
Frage 11Welche 5 Produkte waren am längsten von einem Lieferengpass betroffen? (Angabe der Produkte)

Resultate der Umfrage

Insgesamt wurden 59 Fragebögen versendet. Hiervon wurden 23 Fragebögen beantwortet retourniert (Rücklaufquote = 39%). Fünf Fragebögen wurden von kleinen Spitälern mit weniger als 200 zu versorgenden Betten retourniert, 11 Antworten stammten aus mittleren Spitälern mit 200 bis 500 Betten, und sieben grosse Spitäler haben einen Versorgungsumfang von mehr als 500 Betten. Schwerpunktmässig wurden unsere Fragen somit von Apotheken aus mittleren und grösseren Spitälern beantwortet. In 16 Spitalapotheken (70%) werden Lieferengpässe dokumentiert, wohingegen 7 Spitalapotheken (30%) keine Erfassung und Dokumentation von Lieferengpässen vornehmen. Es zeigt sich, dass die Dokumentation vorwiegend in mittleren und grösseren Spitälern erfolgt. In der Gruppe der grossen Spitäler (>500 Betten) wurden Lieferengpässe durchgehend erfasst.
In beiden Jahren war eine grosse Anzahl an Versorgungsproblemen zu verzeichnen: Im Mittel wurden 126 (2014) bzw. 120 (2015) Lieferengpässe pro Spital dokumentiert, wobei es zwischen den einzelnen Kliniken grosse Abweichungen gab. Die Lieferengpässe über alle Spitäler dauerten durchschnittlich 61 Tage (2014) bzw. 54 Tage (2015). Allerdings existierten auch hier grosse Schwankungen. Auffallend ist die teilweise extrem lange Dauer des jeweils längsten Lieferengpasses. Im 2014 gaben sechs von sieben Spitälern an, dass der jeweils längste Lieferengpass über ein Jahr lang gedauert habe, sich also bis ins Jahr 2015 hinein gezogen haben muss. Für das Jahr 2015 hatten vier Spitäler eine maximale Dauer von über einem Jahr angegeben.
Hinsichtlich der Massnahmen zur Kompensation der Lieferengpässe stand die Aussage an erster Stelle, dass der Lagerbestand in der Apotheke ausreichend hoch gewesen sei (2014: 43%, 2015: 47%). In 28% (2014) bzw. 26% (2015) der genannten Massnahmen konnte ein identisches Produkt in anderer Stärke, galenischer Form oder Packungsgrösse beschafft werden. Lediglich in einem verschwindend kleinen Anteil gelang es nicht, für einen adäquaten Ersatz zu sorgen (2014: 2%, 2015: 3%). Nur in 2% der Fälle mussten die Abgabemengen limitiert werden.
Die Frage nach der Erfassung von Mehrkosten, welche unter Umständen durch die Beschaffung von teureren Ersatzpräparaten entstehen, wurde nur von einem Spital beantwortet, so dass hieraus keine allgemein gültige Erkenntnis abgeleitet werden kann. Im genannten Beispiel wurden Mehrkosten in Höhe von rund 29 000 Franken für das Jahr 2015 angegeben.
Welche Arzneimittel waren schwerpunktmässig tangiert? In beiden Jahren betraf es sehr häufig Antibiotika, was im Spitalbereich äusserst problematisch ist. Die fünf am häufigsten von Lieferengpässen betroffenen ATC-Gruppen sind in Tab. 2 aufgeführt. Da innerhalb dieser fünf ATC-Gruppen nicht weiter nach einer Reihenfolge unterschieden wurde, sind die Summen aller Antworten pro ATC-Gruppe für die Jahre 2014 und 2015 dargestellt. Hierbei haben wir die Daten auf diejenigen ATC-Gruppen beschränkt, die mehr als einmal genannt wurden. Bei den betroffenen Firmen ist festzustellen, dass es einige wenige Unternehmen sind, die das Gros der Lieferengpässe verursachen. Es fällt auf, dass in beiden Jahren fast übereinstimmend die gleichen Firmen am häufigsten genannt wurden.
Tabelle 2: Am häufigsten von Lieferengpässen betroffene ATC-Gruppen (Anzahl Nennungen).
ATCBezeichnung20142015
J01Antibiotika zur systemischen 
Anwendung610
N02Analgetika 6
J07Impfstoffe 3
M01Antiphlogistika und Antirheumatika13
A02Mittel bei säurebedingten Erkrankungen12
B05Blutersatzmittel und Perfusionslösungen22
H02Corticosteroide zur systemischen 
Anwendung 12
L01Antineoplastische Mittel 2
R01Rhinologika 2
S01Ophthalmika  2
V06Allgemeine Diätetika 2
C01Herztherapie31
N01Anästhetika31
V03Alle übrigen therapeutischen Mittel21
C10Mittel, die den Lipidstoffwechsel beeinflussen3 
D08Dermatika2 

Diskussion

Unsere Untersuchung hat ergeben, dass in 16 der 23 Schweizer Spitalapotheken, welche unseren Fragebogen retourniert hatten, die Lieferengpässe von Arzneimitteln dokumentiert werden (70%). Somit liegen erstmals breiter abgestützte Zahlen vor. Eine Limitation unserer Umfrage liegt auf der anderen Seite aber in der eher geringen Anzahl von Apotheken, die an der Umfrage teilgenommen und angegeben hatten, Lieferengpässe zu dokumentieren: nur von 16 der 57 angeschriebenen Apotheken (27%) lagen Antworten vor. Somit kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass Lieferengpässe in Schweizer Spital­apotheken flächendeckend erfasst und ausgewertet werden. Gründe für eine mögliche Nichterfassung und fehlende Dokumentation von Lieferengpässen könnten in dem damit verbundenen hohen Aufwand und/oder fehlenden Erfassungstools liegen. Die Bearbeitung von Lieferengpässen per se kostet bereits viel Zeit, so dass unter Umständen die Bereitschaft gering ist, zusätzlich eine entsprechende Dokumentation vorzunehmen.
Lagerräume der Spitalapotheke am Universitätsspital Basel.
Die ausgewerteten Antworten lassen trotz der Limitation unserer Umfrage den Schluss zu, dass in den Schweizer Spitälern Lieferengpässe in grossem Umfang auftreten. Die Zahlen für 2014 und 2015 unterschieden sich hierbei nicht nennenswert. Diese Ergebnisse decken sich auch mit früheren Untersuchungen aus Basel [1]. Beunruhigend ist auch die relativ lange Dauer der Lieferengpässe von durchschnittlich zwei Monaten, wobei diverse Spitäler mit Lieferengpässen zu kämpfen hatten, die im Extremfall länger als ein Jahr dauerten. Wie auch bereits in Basel festgestellt wurde, sind vor allem essentielle, vorwiegend im Spital eingesetzte Arzneimittel wie systemisch anzuwendende Antibiotika, Anästhetika, Impfstoffe und Analgetika von häufigen Lieferengpässen betroffen. Auch dies stellt eine aus unserer Sicht äusserst problematische Situation dar.
Erfreulich ist die Tatsache, dass die Lieferengpässe offenbar in fast der Hälfte der genannten Fälle dadurch kompensiert werden konnten, dass die Lagerbestände in der Apotheke und/oder auf den Stationen ausreichend hoch gewesen waren. Damit kann auch die Vermutung widerlegt werden, dass in den Spitalapotheken zu niedrige Lagerbestände existierten und die Apotheker somit erst einmal ihre «Hausaufgaben» zu machen hätten. Wir konnten zeigen, dass es lediglich in einem sehr geringen Umfang nicht gelang, für einen adäquaten Ersatz zu sorgen.
Unsere Umfrage belegt ebenfalls, dass das Management von Lieferengpässen ein wichtiger und unumgäng­licher Bestandteil der täglichen Arbeit in der Spitalapotheke geworden ist, um die zuverlässige Versorgung der Patienten im Spital mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Dies erfordert jedoch einen hohen zusätzlichen logistischen Aufwand und einen enormen Personaleinsatz bei allen Beteiligten. Von daher ist es umso wichtiger, klare und strukturierte Abläufe in der Spital­apotheke zu initiieren und den ebenfalls involvierten Berufsgruppen der Ärzteschaft und der Pflege eine zeitnahe Information zur Verfügung zu stellen. Dafür ist aus unserer Sicht aber eine umfassende Dokumentation unerlässlich.
Herbert Plagge
Dr. rer. nat., Spitalapotheker
Universitätsspital Basel
Spitalstrasse 26
CH-4031 Basel
061 256 76 58
herbert.plagge[at]usb.ch
1 Zeggel S, Demuth A, Plagge H. Management von Arzneimittel-­Lieferengpässen in einer Schweizer Spitalapotheke. Krankenhauspharmazie. 2014;35;275–80.
2 Green K, Hoppe-Tichy K. Umgang mit Arzneimittellieferengpässen. Krankenhauspharmazie. 2013;34;88–91.