Am 29. Juni 2017 wird die Delegiertenversammlung der FMH zur NCD-Strategie Position beziehen. Eine wertschätzende und unterstützende Haltung steht zur Debatte. Die Präventionskommission der FMH war an deren Erarbeitung entscheidend mitbeteiligt und hält fest, dass ein Gelingen des Massnahmenpakets 2 «Prävention in der Gesundheitsversorgung» der NCD-Strategie an gewisse Rahmenbedingungen geknüpft ist. Diese Rahmenbedingungen verschlechtern sich massiv aufgrund der Zeitlimitationen der Positionen «Konsultation», «Besuch» und «Arbeiten in Abwesenheit», welche der zweite bundesrätliche Tarifeingriff ab 2018 vorsieht. Durch die Zeitlimitationen werden Kinder, psychisch Kranke und ältere multimorbide Mitmenschen als Patienten systematisch benachteiligt. Gleiches gilt für Patienten mit sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten und für Patienten mit seltenen Erkrankungen.
Die Ärzteschaft kann nicht die Verantwortung übernehmen für die Fehler anderer infolge systemisch unreflektierten Denkens, so zum Beispiel, wenn die Direktion Kranken- und Unfallversicherung (KUV) des BAG die Prävention in der Gesundheitsversorgung und die Interprofessionalität durch die Einführung von Zeitlimitationen an die Wand fährt. KUV darf das tun, aber sie wird hierfür auch die Verantwortung tragen müssen. Patientinnen und Patienten in Krisen sind neu ab 2018 bei Haus- und Kinderärzten und bei Psychiatern in wenigen Minuten abzuspeisen. Ärztinnen und Ärzte werden in ethische Dilemmata gebracht durch die resultierende Zeitrationierung, die in erster Linie vulnerable Patientinnen und Patienten trifft. Die Datenbasis und deren Analyse für diese Zeitlimitationen sind unklar respektive wurden bis jetzt nicht transparent offengelegt. Auf welche Weise wurden Häufigkeiten analysiert, gab es adäquate Subgruppenanalysen, Umgang mit Bias und Confounding? Es fehlen eine Regulationsfolgenabschätzung, ein Wirkungsmodell, Beschreibungen und Zahlen zu antizipiertem Output, Outcome und Impact. Das Resultat wird eine unbekannte, nicht kontrollierbare Menge an Nebenwirkungen sein, von «Cost-Effectiveness» wird nur noch «Cost» übrigbleiben, da Wirksamkeit und Zweckmässigkeit, inklusive ethischer Erwägungen, aussen vor bleiben.
Der Bundesrat wird zudem durch die im Tarifein-
griff geplante Zeitlimitation der Konsultation zum Steigbügelhalter der Tabak- und Alkoholindustrie. Die geplante Volksinitiative «Kinderschutz und Tabakprävention» kann den durch den Tarifeingriff angerichteten Schaden im Public-Health-Bereich bei weitem nicht kompensieren. Bleiben die Limitationen bestehen, müssen Gesundheit2020, die NCD-Strategie und weitere BAG-Strategien umgeschrieben werden. In der heutigen Form werden sie ab 2018 weder wie vorgesehen realisierbar noch valide und glaubwürdig sein. Gleiches gilt für Teile der kantonalen Aktionsprogramme. Aus unserer Sicht verstossen die Zeitlimitationen gegen Artikel 117a der Bundesverfassung. Sie benachteiligen vulnerable Patienten und erschweren eine qualitativ gute Grundversorgermedizin. Sie schwächen die Grundversorger, insbesondere die Hausarztmedizin. Die Zeitlimitationen der Positionen «Konsultation», «Besuch» und «Arbeiten in Abwesenheit» sind eine willkürliche, nicht zweckmässige Massnahme und gefährden Public-Health-Ziele. Sie werden Grundversorgung und Public Health entzweien statt zusammenführen.
Ich hege nach wie vor Hoffnung, dass die Verantwortlichen des BAG einen Marschhalt beim Tarifeingriff einlegen, ansonsten dürfte die NCD-Strategie ein Papiertiger bleiben. Aus ärztlicher und Public-Health-Sicht gibt es sehr wohl Möglichkeiten, Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit zu verbessern, ohne Patientinnen und Patienten, die Qualität der medizinischen Arbeit und Public Health zu gefährden. Das Departement ist gern bereit, diese Punkte in einem gemeinsamen Gespräch zu erörtern, wobei wir uns wünschten, dass alle drei betroffenen Direktionsbereiche des BAG teilnehmen würden.
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