Mobilität

Zu guter Letzt
Ausgabe
2017/3031
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05835
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(3031):980

Affiliations
Lic. oec. publ., MHA, Mitglied der Redaktion

Publiziert am 26.07.2017

In meinem letzten «Zu guter Letzt» habe ich mich über das Präventionsvideo der Suva aufgeregt, das die Velofahrerinnen und Velofahrer pauschal zum Sicherheitsrisiko im Verkehr stempelt. Nebst positiven Reak­tio­nen gab es einen Leser, der mich als «autofeindlich» bezeichnete. Dieses Etikett habe ich als Vorwurf verstanden. Der Vorwurf hat mich animiert, ein wenig über Mobilität nachzudenken, denn Autos gelten ja ­gemeinhin als die Krone der Mobilität.
Ich muss vorausschicken, dass ich Fussgängerin, Velofahrerin, Bus- und Bahnfahrerin und seit ein paar ­Jahren auch Autofahrerin bin. Im Alltag und im Beruf bin ich ausschliesslich per Velo, zu Fuss und im öffentlichen Verkehr unterwegs, in der Freizeit oft mit dem Auto. Das Auto steht an unserem Ferienort, und mit ihm gelangen wir an die Ausgangspunkte ­unserer Bergtouren. Der Aktionsradius hat sich deutlich erweitert, seit wir nicht mehr auf Züge und Postautos angewiesen sind, und das ist schön. ­Andererseits stelle ich fest, dass die neu gewonnene Automobilität sich auch negativ auf die Kreativität in der Freizeitgestaltung auswirkt: Wir studieren keine Fahrpläne mehr, übernachten viel weniger in Hotels, in Hütten oder gar im Zelt, wandern nicht mehr einfach los, ohne genau zu wissen, wo wir ankommen werden. Das Auto bringt uns zu jeder Zeit überallhin, das erspart uns viel Planungs- und Denkarbeit. Doch es macht die Fortbewegung irgendwie langweiliger.
Autos können das Leben manchmal wirklich erleichtern, doch insgesamt betrachtet bringen sie keine ­Verbesserung der Mobilität. Sie sind vielmehr Mobi­litätsbehinderer, indem sie die Mobilität aller Nicht-­Autofahrenden einschränken. Velofahrerinnen und Fussgänger, Kinder und alte Leute müssen vor den Blechlawinen zurückweichen. Autos versperren einen grossen Teil des öffentlichen Raums. Interessanterweise höre ich oft die Frage: «Stört es Sie, wenn ich rauche?» – aber noch nie hat einer gefragt, ob es mich störe, wenn er sein Auto auf dem Trottoir parkiere. Autofahrerinnen behindern aber nicht nur die autolose Bevölkerung, sie stehen sich auch gegenseitig im Weg. Im Stau zu stehen, weder vorwärts noch rückwärts oder seitwärts ausweichen zu können, das ist das Gegenteil von mobil. Das Auto, das hundert Jahre lang als Inbegriff von Freiheit galt, hat sich längst zu einem Gefängnis auf Rädern verkehrt.
Kommen wir noch zum Thema, das unsere Leserschaft besonders interessieren dürfte, nämlich zur Gesundheit. Wer im Auto sitzt, ist immobil. Was sich ­bewegt – oder auch nicht –, ist das Fahrzeug, doch die Insassen sind zur Unbeweglichkeit verdammt. Die ­Kinder sind auf dem Kindersitz angeschnallt. In der Schweiz benutzt gut die Hälfte der Pendler das Auto für die Fahrt zur Arbeit. Dreissig Prozent nehmen den ­öffentlichen Verkehr, neun Prozent gehen zu Fuss, sieben Prozent legen den Arbeitsweg mit dem Velo zurück. Wer mit dem Velo zur Arbeit fährt, ist im Durchschnitt fünf Kilo leichter als ein Autopendler. Das zeigte eine britische Studie mit 150 000 Teilnehmenden.* Die Studie zeigte auch ­signifikante gesundheitliche Vorteile der Fortbewegung mit dem öffentlichen Verkehr gegenüber dem Auto. Im vollgestopften Tram oder Bus riskiert man zwar mal einen Schnupfen, doch die Wahrscheinlichkeit, an Übergewicht, Diabetes oder Kreislauferkrankungen zu leiden, ist bei Autofahrenden deutlich grös­ser.
Bin ich nun autofeindlich? Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. Die Autos sind eine Errungenschaft, die ­wenige missen wollen, auch ich nicht. Aber sie werden total überschätzt, wenn es um ihre Rolle beim Gewinn von Freiheit und Mobilität geht. Sie befördern uns leicht von einem Ort zum anderen, bringen uns aber kein bisschen in Bewegung. Bequem sind sie, das muss man ­ihnen lassen.
anna.sax[at]saez.ch