Die Position der FMH

Nationale Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten

FMH
Ausgabe
2017/34
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05880
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(34):1061–1062

Publiziert am 23.08.2017

Die Prävention nicht übertragbarer Krankheiten («non-communicable diseases», NCD) erhält über die nationale Strategie und deren Massnahmenplan in der Gesundheitsversorgung in den nächsten Jahren zusätzliches Gewicht. Durch eine Verbreitung der Thematik in der Ärzteschaft und deren Engagement wird eine bessere Wirkung auf der Bevölkerungsebene erreicht. Eine optimale Zusammenarbeit aller Partner ist unumgänglich. Dies erfordert eine Sensibilisierung bei der Ärzteschaft und der Politik für den gegenseitigen Einbezug.

Die Ausgangslage

Der Dialog Nationale Gesundheitspolitik, die ständige Plattform von Bund und Kantonen, und der Bundesrat verabschiedeten zu Beginn des Jahres 2016 die NCD-Strategie. Diverse Impulse aus der Ärzteschaft, aber vor allem die zunehmenden Prämienkosten und der erwartete Anstieg von nichtübertragbaren Krankheiten, u.a. aufgrund der gesellschaftlichen und demographischen Entwicklung der Schweizer Bevölkerung, waren Auslöser für deren Erarbeitung. Im dazugehörigen NCD-Massnahmenplan sind folgende drei Stossrichtungen vorgesehen:
– Bevölkerungsbezogene Gesundheitsförderung und Prävention – Weiterentwicklung kantonaler Programme für Gesundheitsförderung und Prävention
– Prävention in der Gesundheitsversorgung – Optimierung der Schnittstellen zwischen Prävention und Kuration
– Prävention in Wirtschaft und Arbeitswelt – Stärkung gesundheitsförderlicher Rahmenbedingungen in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft
Die NCD-Strategie wie auch der dazugehörige Massnahmenplan betonen die Wichtigkeit der durch die Ärzteschaft erbrachten Leistungen im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention. Dies erfordert die klare Positionierung der Ärzteschaft, denn die Wirkung von Präventionsmassnahmen auf Bevölkerungsebene wird unter anderem durch eine Verbreitung der Thematik bei den Ärztinnen und Ärzten erreicht. Diese haben einen flächendeckenden alters- und schichtenübergreifenden Zugang zur Bevölkerung und deren Vertrauen, was für die Motivation und Adhärenz von zentraler Bedeutung ist. Die Ärzteschaft erbringt dementsprechend in allen drei Stossrichtungen sowie im Querschnitt über alle Lebensphasen hinweg relevante Leistungen. Für die Ärzteschaft ist insbesondere das Massnahmenpaket 2 «Prävention in der Gesundheitsversorgung» von Bedeutung. Die Grundlagen für eine Förderung der Prävention von ärztlicher Seite sind bereits seit längerem vorbereitet. Mit dem Gesundheitscoaching des KHM, dem Projekt Frei von Tabak, Paprica und EviPrev beispielsweise, finden sich aus Sicht von Public Health bereits ausgezeichnete praxistaugliche Instrumente auf einem State-of-the-art-Niveau. Spe­ziell in der ärztlichen Grundversorgung ist Prävention ein inhärentes Thema. Auch Spezialisten sind im Bereich Prävention tätig, dies primär bei den von ihnen betreuten Krankheits- und Patientengruppen und/oder auf Bevölkerungsebene. Eine besondere Rolle spielen dabei die psychiatrisch, pädiatrisch und gynäkologisch tätigen Ärztinnen und Ärzte, die oft alleinige Betreuer Ihrer Patienten sind.

Die Argumente

Zugang zur Bevölkerung in allen Lebensphasen

Die Chance, Patienten auf präventives Verhalten an­zusprechen und zu Verhaltensänderungen zu motivieren, sind durch die Ärztin, den Arzt am besten gegeben, suchen doch rund 80% der erwachsenen Bevölkerung mindestens einmal im Jahr einen niedergelassenen Arzt auf. Effektiv sind ärztliche Kontakte besonders bei Kindern: Vorsorgeuntersuchungen im Kindes- und ­Jugendalter sind wichtige Gefässe, um gesundheits­fördernde Informationen zu vermitteln und das langfristige Gesundheitsverhalten günstig zu beeinflussen. Gesundheitsförderung und Prävention sind lebenslange Prozesse, die bereits vor der Geburt beginnen.

Schnittstelle Prävention/Kuration im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit

Angepasst an die Patientenbedürfnisse und im Sinne einer umfassenden Versorgung können in einer (haus-)ärztlichen Konsultation gesundheitsförderliche, primär-, sekundär-, tertiär- und quartärpräventive Aspekte angesprochen werden – dies gleichzeitig mit diagnostischen, therapeutischen, rehabilitativen oder palliativen Themen. Empfehlungen müssen jedoch nicht nur vermittelt und verstanden werden, sondern auch umsetzbar sein, gelebt werden und von der Gesellschaft durch förderliche Verhältnisse getragen werden.

Interprofessionelle Zusammenarbeit

Selbstredend kann die Ärzteschaft operativ nicht alle Massnahmen im Alleingang umsetzen. Der umfassende Anspruch und die systemische Sichtweise erfordern vermehrt eine interprofessionelle Arbeitsweise sowie die Anwendung von Methoden aus unterschiedlichen Disziplinen. Im Setting Arztpraxis sind vor allem die Medizinischen Praxisassistentinnen (EFZ) und Medizinische Praxiskoordinatorinnen (MPK) nach entsprechender Schulung prädestiniert für die Beratungsarbeit und dementsprechend zu fördern. Auch andere im Gesundheitswesen tätige Berufsgruppen und Gesundheitsligen sind in diese Netzwerke zwingend zu involvieren. In Bezug auf den optimalen Einsatz von Ressourcen ist ein qualitativ gutes Schnittstellenmanagement von ärztlicher Seite angezeigt, wofür auch Zeit und Mittel vorzusehen sind.

Partizipativer Ansatz

Die Patientinnen und Patienten sind in das Zentrum der Behandlung zu stellen. Sie sind gleichberechtigte Partner sowohl für die Entscheidfindung als auch ­bezüglich der Behandlung. Der Arzt ist Experte für das medizinische Fachwissen, dem Patienten sind seine ­eigenen persönlichen Werte, Wünsche und Vorstel­lungen bekannt. Es obliegt dabei dem Arzt, durch ­Herstellen einer vertrauensvollen Atmosphäre, den Austausch über diese Themen überhaupt erst zu ermöglichen. Durch diesen partizipativen Ansatz (eine Forderung seit Ottawa 1986) ist auch eine hohe Akzeptanz bei der Umsetzung gegeben. Gewisse Bevölkerungsgruppen sind speziell gefährdet für NCDs: So finden sich in bildungsferneren Bevölkerungsgruppen oder manchen Migrationsgruppen z.B. vermehrt Übergewicht, unausgewogene Ernährung, ein höherer Ta­bak­konsum und auch Vorsorgeuntersuchungen werden seltener in Anspruch genommen.

Finanzielle und gesundheitspolitische ­Rahmenbedingungen

Die geplanten Massnahmen und die damit angestrebte Verbesserung werden nicht gratis zu haben sein und können nicht losgelöst von anderen gesundheitspolitischen Themen und gesellschaftlichen Voraussetzungen betrachtet werden. Dem Massnahmenplan liegt ein föderalistisches System zugrunde, das sich durch eine Vielfalt von Akteuren und Massnahmen auszeichnet und genauso fragmentiert ist auch die Finanzierung dieses Systems.

Unsere Forderungen

– Ärztliche Konsultationen sind als zentrales Gefäss für alle Formen der Prävention zu werten, um in ­jedem Alter günstige Voraussetzungen für die Gesundheit auf Patienten- und Bevölkerungsebene zu schaffen.
– Ärztinnen und Ärzte fordern die integrative Betrachtung aller für die Prävention relevanten Themen (Sucht, psychische Gesundheit, NCD usw). Prävention und Gesundheitsförderung erfolgt im Praxis­alltag umfassend und nicht in thematischen Säulen.
– Für alle Formen der Prävention muss in der Versorgungsforschung, unter Berücksichtigung von Schnittstellen, Evidenz geschaffen werden.
– Unter Einbezug der volkswirtschaftlichen Ge­samt­kosten/-nutzen-Optik ist die finanzielle Abgeltung der ärztlichen Leistungen im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention sicherzustellen bzw. für eine nachhaltige Umsetzung tarifarisch zu regeln.
– Damit sich die Beratungsansätze in der Arztpraxis durchsetzen können, müssen sie nicht nur mit Ärztinnen und Ärzten entwickelt, sondern auch mit ihre­n Fachgesellschaften und Strukturen umgesetzt und verbreitet werden.
– Ärztinnen und Ärzte werden aufgerufen, die be­stehenden ausgezeichneten praxistauglichen In­strumente, welche sich auf einem State-of-the-art-­Niveau befinden, zu nutzen. Die Instrumente müssen im Rahmen der NCD-Strategie bekannt und einfach zugänglich gemacht werden.
– Die Patientinnen und Patienten sind im Rahmen des partizipativen Ansatzes in das Zentrum der Behandlung zu stellen. Angesichts spezifischer Bedürfnisse gewisser Bevölkerungsgruppen dürfen Adaptionen nicht vergessen werden, um auch diese Gruppen präventiv so gut wie möglich über die Ärzteschaft zu erreichen (z.B. Finanzierung von interkulturellen Dolmetschern und Dolmetscherinnen)
– Ärztinnen und Ärzte führen Gesundheitsförderungs- und Präventionstätigkeiten in einem interprofessionellen und integrativen Netzwerkansatz aus und sind zusammen mit den anderen Fachpersonen ein wichtiger Partner in der Umsetzung der NCD-Strategie.
– Die Ärzteschaft unterstützt die Entwicklung und ­Integration von Ansätzen anderer Gesundheits­fach­berufe. Diese müssen allerdings mit deren Berufsgesellschaften und Strukturen entwickelt, umgesetzt und verbreitet werden.
– Prävention und Gesundheitsförderung müssen nicht nur vermittelt und verstanden, sondern auch gelebt werden sowie umsetzbar sein und von der Gesell­schaft durch förderliche Verhältnisse getragen werden. Verhältnisprävention ist zwingender Bestandteil der Umsetzung.
Höchstes Vernehmlassungsorgan: FMH-Delegiertenversammlung, Bern, 29. Juni 2017
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