Systematische Rechtsverweigerung?

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2017/38
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.06023
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(38):1217

Publiziert am 20.09.2017

Systematische Rechtsverweigerung?

Brief zu: Brühlmeier Rosenthal D. Soziales Elend nach Stopp oder Verweigerung von IV-Renten. Schweiz Ärztezeitung. 2017;98(24):785–7.
Ich bin sehr froh über die Diskussion, welche Kollegin Brühlmeier Rosenthal mit ihrer ­Untersuchung angestossen hat; vorher suchte ich als Kinderpsychiater angesichts der ebenfalls häufigen Ablehnungen von Leistungen der Sozialversicherung verärgert den Fehler bei mir. Seither fragte ich bei andern beteiligten Berufsleuten nach: ein Sozialarbeiter, der beruflich viel mit Menschen mit Behinderungen zu tun hat, meinte: Das sei doch nichts Neues, schon immer hätten die Versicherer versucht mit fadenscheinigen oder schlicht falschen juristischen Argumentationen berechtigte Ansprüche abzuwimmeln; da könne man nichts machen. Der erste Jurist, den ich fragte, glaubte, so aussichtslos sei es nicht, aber man müsse sofort bei einem fragwürdigen Vorbescheid (!) einen Anwalt (!) nehmen, sonst sei es gelaufen! Ein anderer Anwalt relativierte: Ja, aber dann kann die IV den Prozess so lange verzögern, bis der Anspruch obsolet wird (z.B. bei Antrag auf Geburtsgebrechen) oder bis sie mindestens ein paar Jahre lang eine Auszahlung gespart hat.
Solche Erfahrungen bei versierten Fachpersonen spiegeln eine Situation, die eines Rechtsstaats unwürdig ist; dass die Kosten höchstens verlagert und wahrscheinlich insgesamt auch vergrössert werden, hat Frau Brühlmeier ­Rosenthal in verdankenswerter Weise aufgezeigt! Für eine Korrektur dieser Praxis müssten eigentlich auch staatstreue Rechtsbürgerliche sich einsetzen! Also, lassen wir den Diskurs nicht einschlafen!