Morbiditäts-und Mortalitätskonferenzen in der Schweiz

FMH
Ausgabe
2017/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.06056
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(40):1280–1281

Affiliations
Prof. Dr., Wissenschaftlicher Leiter, Patientensicherheit Schweiz

Publiziert am 04.10.2017

Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen sind ein in Spitälern verbreitetes Gefäss des individuellen und organisationalen Lernens. Typischerweise werden darin Komplikationen, ungewöhnliche Verläufe und unerwartete Todesfälle aufgearbeitet. Um die sogenannten MoMo in der Schweiz als Instrument zur Förderung der Patientensicherheit zu stärken, haben Patientensicherheit Schweiz und die FMH ein Projekt lanciert.
Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen (MoMo oder M&M) haben vor allem in den angelsächsischen Ländern eine lange Tradition als Instrument ärztlicher Weiterbildung im Spital. Sie sind auch in Schweizer Spitälern weit verbreitet. Die MoMo waren ursprünglich auf das Ziel ausgerichtet, das individuelle ärztliche Handeln durch Reflexion abgeschlossener Fälle zu verbessern. Diese Ausrichtung hat sich in den letzten Jahren verändert oder erweitert.

Stärkere Systemperspektive

Viele Zwischenfälle und Fehler haben ihren Ursprung in der Organisation der Versorgung, in den Prozessen, der Kommunikation und Interaktion. Auf dieser Basis verfolgen die MoMo zunehmend eine systemorientierte Perspektive. Frey et al. berichten beispielsweise aus dem Kinderspital Zürich [1], dass die dortige interprofessionell und interdisziplinär durchgeführten MoMo zur Identifikation von Fehlern führen, von denen eine Vielzahl auf Schnittstellen und die Team­zusammen­arbeit zurückzuführen sind. In 37 von 48 analysierten MoMo (77%) konnten unsichere Prozesse oder Fehler identifiziert werden.
Internationale Analysen zeigen, dass die Teilnehmer von MoMo dieses Gefäss sehr schätzen, weil es für die Patientensicherheit so wertvoll ist. Als Motiv für die Teilnahme geben sie vor allem die verbesserte Teamzusammenarbeit an [2]. Strukturelle und inhaltliche Anpassungen des Formats zu mehr Systemorientierung wurden von den Teilnehmern gut aufgenommen und in verschiedenen Studien positiv evaluiert [3].
Eine wirksame MoMo zu etablieren ist allerdings anspruchsvoll. Zum einen müssen die Form und das ­methodische Vorgehen entsprechend ausgerichtet sein, z.B. durch systemorientierte Leitfragen. Formale, strukturelle und inhaltlich-methodische Charakteristika der MoMo sind deutlich assoziiert mit der Wirksamkeit und erfolgreichen Implementierung von Verbesserungsmassnahmen [4]. Zum anderen müssen die in der MoMo erarbeiteten Erkenntnisse, Lösungen und Massnahmen ihren Weg zurück in die Organisation als Ganzes finden, dort umgesetzt werden und fruchten.
Eine erfolgreiche MoMo erfordert ferner soziale und methodische Kompetenzen, insbesondere der Leitung. Sowie eine Kultur innerhalb der Organisation, die eine offene, transparente und verlässliche Diskussion über unerwünschte Ereignisse oder Fehler überhaupt ermöglicht. Schlecht strukturierte und moderierte ­MoMo können hingegen sogar destruktiv wirken und eine gute Sicherheitskultur zunichtemachen, z.B. wenn einzelne Beteiligte «vorgeführt» werden.

Status quo in der Schweiz

Bisher wurde die MoMo als zentrales Gefäss der ­Weiterbildung in der Schweiz noch nicht systematisch untersucht. Entsprechend wenige praxistaugliche Hilfsmittel existieren für die Umsetzung von MoMo-Kon­ferenzen. Patientensicherheit Schweiz und die FMH haben daher ein Projekt lanciert mit dem Ziel, die MoMo in der Schweiz als wichtiges Instrument zur ­Förderung der Patientensicherheit zu stärken. Welche Arten von MoMo-Konferenzen existieren in der Schweiz, wie sind die Erfahrungen damit und welchen Veränderungsbedarf sehen die Praktiker? Um diese Fragen zu beantworten, wurde in einem ersten Schritt der Status quo der MoMo in der Schweiz erfasst. Dazu fand im Frühling 2017 eine schweizweite Online-Befragung von Chefärzten in Akutspitälern statt (Diszi­plinen: Chirurgische Fächer, Internistische Fächer, ­Geburtshilfe/Gynäkologie und Anästhesiologie/Intensivmedizin). Als Ergebnis der Erhebung liegen nun erstmalig für die Schweiz Daten zum Umsetzungsstand, dem Weiterentwicklungsbedarf und zu zukünftigen Chancen und Bedürfnissen aus Sicht der Fach­personen vor.
Erste Analysen zeigen, dass die an der Studie teilnehmenden Chefärzte mit ihren MoMo in erster Linie ­organisationale Lernziele verfolgen, insbesondere die Verbesserung von Abläufen und Prozessen. Die individuelle Verbesserung des Fachwissens ihrer Mitarbeitenden streben wenige an. Der Charakter der MoMo hat sich auch hierzulande in Richtung einer stärkeren Systemperspektive verändert. Hingegen sind viele international empfohlene strukturelle und prozedurale Merkmale bislang noch relativ wenig verbreitet. Dazu gehört beispielsweise die Trennung von Leitung, Moderation und Präsentation. Auch die Auswahl der Fälle anhand klarer Kriterien, die Schulung der Moderatoren oder die anonyme Protokollierung werden noch nicht wie empfohlen umgesetzt. Die Daten zeigen auch deutliche Unterschiede zwischen den Fachgebieten in der Art und Weise, wie die MoMo durchgeführt werden und verankert sind.

Neuer Aufwind für die MoMo

Die MoMo werden von den meisten Teilnehmern als wirksames Instrument erachtet. Als wichtigste Hinderungsfaktoren nennen sie Zeitmangel, eine nicht ausreichende Bereitschaft zur Beteiligung sowie eine nicht ausreichende methodische Kompetenz. Die Mehrheit sieht noch Verbesserungspotenzial bei «ihrer MoMo» und ist offen für eine Weiterentwicklung. Insbesondere eine Checkliste für die Vorbereitung von MoMo und ein Leitfaden würden als hilfreich erachtet. Aber auch Vorlagen für Protokolle und Präsentationen oder ein Schulungsangebot für die Moderation werden gewünscht. Basierend auf den vorliegenden Ergebnissen beginnt die Stiftung Patientensicherheit Schweiz im Herbst 2017 mit der Erarbeitung von solchen Tools. Die Voraussetzungen sind gut, um der MoMo als etabliertem Gefäss für die Verbesserung der Patientensicherheit neuen Aufwind zu geben.

Innovation Qualité: der Preis für 
Qualitätspioniere

Innovation Qualité heisst der neue Preis der Schweizerischen Akademie für Qualität in der Medizin der FMH. Die SAQM prämiert damit Qualitätsprojekte aus dem Schweizer Gesundheitswesen, die sich in der Praxis bewährt haben, und verschafft der Fachdiskussion zukunftsweisende Impulse. Die Preiskategorien Patientenversorgung neu gedacht und Patienten­sicherheit sind mit je 15 000 Franken, die Kategorie Ärzteorganisationen mit 10 000 Franken dotiert. Bewerben Sie sich noch heute mit Ihrem Projekt für die Innovation Qualité! Anmeldeschluss ist der 8. Dezember 2017, die Preisverleihung findet am 17. April 2018 in Bern statt. Weitere Informationen finden Sie auf www.innovationqualite.ch
Prof. Dr. David Schwappach
Wissenschaftlicher Leiter
Patientensicherheit Schweiz
Stiftung für Patienten­sicherheit
Asylstrasse 77
CH-8032 Zürich
schwappach[at]
patientensicherheit.ch
1 Frey B, Doell C, Klauwer D, Cannizzaro V, Bernet V, Maguire C, et al. The Morbidity and Mortality Conference in Pediatric Intensive Care as a Means for Improving Patient Safety. Pediatric Critical Care Medicine 2016;17:67–72.
2 Lecoanet A, Vidal-Trecan G, Prate F, Quaranta JF, Sellier E, Guyomard A, et al. Assessment of the contribution of morbidity and mortality conferences to quality and safety improvement: a survey of participants’ perceptions. BMC Health Serv Res 2016;16:1–7.
3 Murayama KM, Derossis AM, DaRosa DA, Sherman HB, Fryer JP. A critical evaluation of the morbidity and mortality conference. The American Journal of Surgery 2002;183:246–50.
4 François P, Prate F, Vidal-Trecan G, Quaranta JF, Labarere J, Sellier E. Characteristics of morbidity and mortality conferences associated with the implementation of patient safety improvement initia­tives, an observational study. BMC Health Serv Res 2016;16:1–8.