Briefe / Mitteilungen
Keine Alternative
Keine Alternative
Brief zu: Adler R. Fragwürdige Entwicklung. Schweiz Ärztezeitung. 2017;98(37):1197–8.
Lieber Herr Adler
Es hat mich gefreut, wie Sie in Ihrem Artikel die Bedeutung von Diagnosen relativieren und dass sie von unseren Systemadministratoren zu Finanzierungs- und Begutachtungszwecken missbraucht werden. Gewiss, Diagnosen sind «Konstrukte» und können alles und fast nichts bedeuten.
Leider führen Sie nebst Ihrer Kritik keine Alternative zur Diagnose-bezogenen Finanzierung auf. Haben Sie denn eine?
Auch Zeit- und Leistungstarife haben ihre Nachteile, wie die Kostenentwicklung zeigt. Ist es nicht eben das Ausbleiben einer ärztlichen Stellungnahme zur Finanzierungsweise, die die Administratoren auf solche Irrwege führt?
Das biopsychosoziale Konzept hilft uns zwar im Verständnis von Gesundheit und Krankheit, ob die Patienten es wollen, ist eine andere Frage. Bei der Finanzierungsfrage hilft es auch nicht gerade weiter. Im Gegensatz zu biomedizinischen Fakten bietet es keine Abgrenzung zwischen medizinischer Notwendigkeit und Problemen des Lebens. Eher führt es zu einer Angebotsausweitung und kann so einer weiteren Medikalisierung oder Psychologisierung auf Kosten des KVG dienen. Man beachte nur den Einzug psychologischer Dienste in medizinische Fachbereiche (HNO, Rheumatologie, Kardiologie, Neurologie etc.). Die Natur des Menschen ist sicher biopsychosozial. Die der angewandten Medizin ist aber biopsychosozio-ökonomisch. Also brauchen auch wir Ärzte ökonomische Konzepte. Die Ressourcen sind nun mal knapp. Wer entscheidet über ihre Allokation, Markt oder System? Individuum oder Systemadministrator? Der Umgang mit dieser Frage entscheidet über die weitere «Entwicklung». Wir sollten sie nicht alleine den Ökonomen und Politikern überlassen.
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