VSAO-Kampagne «Medizin statt Bürokratie!»

Zu viel Zeit am falschen Ort - und zu wenig am richtigen

Organisationen der Ärzteschaft
Ausgabe
2017/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.06229
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(48):1603–1604

Affiliations
lic. phil. hist., Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer VSAO

Publiziert am 29.11.2017

Ärztinnen und Ärzte im Spital können nur noch ein Drittel ihrer Arbeitszeit am Krankenbett einsetzen. Den Grossteil des Tages opfern sie der wachsenden Flut an administrativen Aufgaben. Dagegen wehrt sich der VSAO. Und zeigt mit seiner neuen Kampagne, dass und wie es anders geht.
Die Ergebnisse waren bestürzend. Im Frühling 2017 ­publizierte der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) seine neue ­Studie zu den Arbeitsbedingungen des Nachwuchses. ­Fazit aus rund 3300 Antworten: Gut die Hälfte der Mitglieder steht noch immer länger als rechtlich zulässig im Dienst – oft sogar viel länger. Bei einem vollen ­Pensum beträgt die wöchentliche Arbeitszeit aktuell fast 56 Stunden. Oder etwa zehn Prozent mehr als das Arbeitsgesetz erlaubt. Brisant: Häufig werden diese zusätzlich geleisteten Stunden gar nicht erst erfasst.
Auf dem Weg ans Krankenbett stösst die Ärzteschaft auf zahlreiche bürokratische Hürden. Der VSAO zeigt in einer Broschüre auf, wie sie sich überwinden lassen.

Gefahr auch für Patienten

Eine so starke Beanspruchung bleibe nicht ohne Folgen, sagt Anja Zyska Cherix, die neue VSAO-Präsidentin. «38 Prozent der Befragten berichten, an die Belastungsgrenze zu stossen. Schon jede(r) Zweite erlebt zudem Gefahrensituationen am Krankenbett, ausgelöst durch übermüdete Ärztinnen und Ärzte.» Handkehrum zeigen aber Studien, dass nur noch ein Drittel der Arbeitszeit unmittelbar den Patientinnen und ­Pa­tienten zugutekommt [1, 2].
«Spitalärztinnen und -ärzte haben also nicht nur Stress – sie haben ihn vor allem zu oft am falschen Ort», ­erklärt Zyska. Die Gründe dafür lägen auf der Hand bzw. auf dem Schreibtisch, wenn man sich die Resultate ­einer zweiten Verbandsumfrage ansehe. «Denn wie diese zeigt, wären diverse ärztliche Auf­gaben oft an andere Stellen delegierbar.» (siehe auch www2.vsao.ch, Rubrik Weiterbildung, Feedback-Pool, 1/2016: «Reduktion bzw. Delegation administrativer Aufgaben von ­Assistenz- und Oberärztinnen»)

Spielerisch ernst

Gestützt auf die Erkenntnisse aus den beiden Unter­suchungen hat der VSAO nun die neue Kampagne «Medizin statt Bürokratie!» lanciert. Hauptadressatinnen der ersten Welle sind die Leitungen und Personalabteilungen der Spitäler. Im Mittelpunkt steht zum einen ein Leiterspiel. Es illustriert mit leichtem Augenzwinkern die bürokratischen Hürden für junge Ärztinnen und Ärzte auf dem Weg ans Krankenbett. Zum andern zeigt eine Broschüre Lösungsansätze auf, welche den Anteil der Bürotätigkeiten am ärztlichen Dienst reduzieren – zum unmittelbaren Nutzen der Patientinnen und Pa­tienten.
Die Vorschläge sind konkret und orientieren sich an den Rückmeldungen der VSAO-Mitglieder. Interne Abläufe koordinieren, direkte Wege schaffen und Strukturen anpassen lauten die Schlüsselbegriffe. So kann zum Beispiel das Stationssekretariat Röntgenrapport-Listen nachführen und für eine Entlastung sorgen. Letztere ist auch im Bereich Nachbehandlungen sowie bei den Eintritts- und Austrittsformalitäten oder der Spitex möglich: «Aufwendige Recherchen entfallen, seit unser Case Management die Patientenagenda mit den Untersuchungsterminen für mich führt und übersichtlich darstellt», berichtet ein Oberarzt aus Solothurn von seinen Erfahrungen.

Nur vordergründig banal

Manche Punkte erscheinen auf den ersten Blick banal. Kleine Änderungen führen jedoch in der Praxis zu gros­sen Verbesserungen. Etwa eine einheitliche Software mit reibungslos funktionierenden Schnittstellen und Zugriff auf die Systemumgebung auch von ausserhalb des Spitals. Oder das Diktieren: Wenn Ärztinnen und Ärzte Befunde oder Verordnungen rasch und ohne ständige Unterbrechungen diktieren können, steigt ihre Effizienz. Dafür gibt es erschwingliche technische und organisatorische Lösungen. Anschliessend muss gewährleistet sein, dass die Tonaufnahmen umgehend verarbeitet werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die kluge Arbeitsteilung zwischen Ärzteschaft, Codierfachleuten und Sekretariaten beim Codieren. «Dank der unkomplizierten Zusammenarbeit mit dem Codierer spare ich täglich kostbare Zeit», erzählt eine junge Ärztin aus dem Kanton Zürich: «Und das ist Zeit, welche ausschliesslich dem Patientenwohl zugutekommt.»
In einem nächsten Schritt wird der VSAO die erste Kampagnenwelle evaluieren und daraus Schlüsse für das weitere Vorgehen ziehen. Eines sei klar, betont VSAO-Präsidentin Anja Zyska Cherix: «Es geht nicht ­darum, dass die Ärztinnen und Ärzte die Gesamtverantwortung für den Behandlungsprozess abgeben. Und es muss weiterhin sichergestellt sein, dass sie den ganzen Krankheitsverlauf im Blick haben. Beides lässt sich aber am besten garantieren, wenn sie nicht in ­einer Flut an Büroarbeit ertrinken.»
Für zusätzliche Informationen und die Bestellung von Kampagnenmaterial siehe www2.vsao.ch.
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1 Wenger N, Méan M, Castioni J, Marques-Vidal P, Waeber G, Garnier A: Allocation of Internal Medicine Resident Time in a Swiss ­Hospital: A Time and Motion Study of Day and Evening Shifts. ­Ann Intern Med. 2017 Apr 18;166(8):579–86. doi: 10.7326/M16-2238. Epub 2017 Jan 31.
2 gfs.bern, Begleituntersuchung Swiss DRG, ST Reha, TARPSY im ­Auftrag der FMH, Juni–August 2015.