Klimaerwärmung und Assistentenmangel

FMH
Ausgabe
2017/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.06235
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(48):1597

Affiliations
Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Stationäre Versorgung und Tarife

Publiziert am 29.11.2017

Im Aargau gibt es einen Skilift. Als er gebaut wurde, lag im Winter sicher noch so viel Schnee, dass sich der Bau rechtfertigte. Heute läuft dieser Skilift kaum mehr. Denn die Ressource Schnee ist selten geworden in dieser Region. Dieselbe Entwicklung fand über die Jahre in anderen Skigebieten auch statt. Wo möglich begannen die Aufmerksamen Gegenmassnahmen zu treffen, indem sie Beschneiungsanlagen bauten.
In der Zeit als jener Aargauer Skilift gebaut wurde, musste man als Mediziner nach dem Staatsexamen froh sein, wenn man überhaupt eine Anstellung bekam. Die Ressource Assistent stand damals den Spitälern genau so reichlich zur Verfügung wie der Schnee den Skifahrern. Das erleichterte die Organisation des medizinischen Betriebs enorm, denn wenn eine neue Aufgabe dazu kam, wurde sie meist einfach den Assistenten zugeteilt.
Dann änderte sich unmerklich die Situation am Arbeitsmarkt für Ärztinnen und Ärzte. Plötzlich konnte man als Chefarzt nicht mehr jede Stelle vier Jahre im Voraus mit einem Topkandidaten besetzen. Zunehmend gestand man sich unter Chefarztkollegen ein, dass man froh sei, gerade noch genügend Bewerbungen zu haben, um die gesprochenen Stellen zu besetzen. Später hörte man hinter vorgehaltener Hand, dass Kollegen ihre Stellen nicht mehr vollständig besetzen könnten. Zugleich führte die Umsetzung des Arbeitsgesetzes zu einer deutlichen Einschränkung der verfügbaren Assistentenzeit. Damit war die Ressource ­Assistenzarzt endgültig zu einem ­limitierenden Faktor in der ganzen medizinischen Organisation geworden.
Was waren die Folgen davon, dass man zahlreiche Aufgaben den Assistenten übertrug? In mehreren Untersuchungen wurde gezeigt, dass die Zeit am Patienten heute sehr knapp bemessen ist. Im überwiegenden Teil der Arbeitszeit muss die Administration gewährleistet werden. Administration ist aber kaum das Ziel jener Maturanden, die den Numerus Clausus bestehen – sonst müsste man dort mehr administratives Wissen abfragen. Die angehenden Mediziner möchten für und mit Patienten arbeiten. Beim heutigen Werben der Spitäler um Assistenten könnte eine Klinik sehr gut punkten, wenn sie zeigen kann, dass ihre Organisation der Ärzteschaft ermöglicht mehr Zeit mit den Patienten zu arbeiten als bei der Konkurrenz. Die Führung in den Spitälern ist gefordert, gemeinsam mit den betroffenen medizinischen Teams neue Wege und Lösungen zu finden für folgende Themen: Was muss genau gemacht werden? Welchem Zweck dient die administrative Aufgabe? Was kann ganz wegfallen? Wie können die unumgänglichen administrativen Aufgaben von den Assistenten (und der Pflege) weggenommen werden? Was sind die erforderlichen Fähigkeiten für diese Aufgabe? Welche anderen Berufsgruppen, die diese ­Fähigkeiten als Kernkompetenz haben, könnten die Ärztinnen und Ärzte entlasten? Eine zentrale Richt­linie bei der Beantwortung dieser Fragen muss dabei immer sein, ob eine bestimmte Aufgabe wirklich spezifisch ärztliches Wissen erfordert oder nicht. Wenn kein ärztliches Wissen und Können erforderlich ist, kann die Aufgabe an andere Berufsgruppen delegiert werden, die einfacher zu rekrutieren sind.
Der VSAO hat sich diesem zentralen Thema angenommen und verschiedene praktische Ideen entwickelt, wie die Entlastung der Assistenzärzteschaft erfolgen könnte (in dieser Ausgabe Seite 1603). Diese Ideen sind allen Verantwortlichen in den Spitälern zur Prüfung zu empfehlen. Im Gegensatz zu den Schneekanonen in den Skigebieten ermöglichen diese Ideen des VSAO nachhaltige Verbesserungen in der Organisation des medizinischen Betriebs, die das ganze Jahr wirksam sind.