Offener Brief an die Ärztekammer: Bundesrat Ignazio Cassis wird Ehrenmitglied der FMH! – Really ?

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06396
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(05):140

Publiziert am 31.01.2018

Offener Brief an die Ärztekammer: Bundesrat Ignazio Cassis wird Ehrenmitglied der FMH! – Really?

Sehr geehrte Kollegen der Ärztekammer
An Ihrer Oktobersitzung [1] hat Ihnen der FMH-Präsident im Namen des Vorstandes ­beliebt gemacht, unsern Kollegen Bundesrat Ignazio Cassis zum Ehrenmitglied der FMH zu ernennen. Sie haben dies mit 86 von 145 Stimmen gutgeheissen.
Dass sich Ignazio Cassis für die Ärzte und die FMH besonders verdient gemacht hätte, darf man bezweifeln. Als Tessiner Kantonsarzt 
hat er kaum Ausserordentliches vollbracht. Diente es dem Zusammenhalt der FMH, als ihr Vizepräsident Cassis zurücktrat? Der bestbezahlte Präsident des Krankenkassenver­bandes hat sich kaum für Ärzte und FMH breitgemacht. Hat er den Interessen der Allgemeinheit gedient? – Der Präsident von Swiss Public Health ist durch das Schweigen dieses Vereins zu längst fälligen strukturellen Präventionsmassnahmen aufgefallen, was den Gegnern von Prävention und Gesundheitsförderung, nicht aber der Allgemeinheit zugutekam.
Die Laufbahn des FMH-Ehrenmitgliedes belegt, dass Ignazio Cassis sich vom intelli­genten Arzt zu einem zielstrebigen gut vernetzten Politiker gemausert hat, der die Glaubenssätze der FDP verinnerlichte. So seine sogar vor Ärzten [2] und Gesundheitsprofes­sionellen [3] formulierte Aussage: «Wenn man im liberalen Staat alles verbieten wollte, was der Gesundheit schädlich ist, dann gäbe es keinen liberalen Staat mehr!», mit der er das Produkteverbot geflissentlich mit dem Verbot der Werbung für Tabakprodukte verwechselt. Seine FDP-Linientreue garantierte, dass das von Lobbyisten durchzogene Parlament sein geschicktestes Mitglied in die Regierung wählte.
Ehrungen sagen viel über die Ehrenden aus. So Jean Martins prompte Gratulation auf der Website der SÄZ [4]. Der Ton der Grussbotschaft ist eher der eines Parteifreundes zum geglückten Wahlmanöver als der eines Arztes an einen Kollegen. Anliegen, die Ärzte für die Gesundheit der Bevölkerung haben, sind dar­in ängstlich mit der Hoffnung verbunden, Cassis möge sich in seiner neuen Verantwortung einsetzen, wofür er sich als Parlamentarier nicht verwendet hatte. Das Gratulationsschreiben der SÄZ und die von Ihnen erteilte FMH-Ehrenmitgliedschaft erscheinen somit als Vorschusslorbeeren für Leistungen, die 
Ignazio Cassis noch erbringen müsste ... wozu er aber wegen seiner Verstricktheit mit den Wirtschaftsinteressen seiner Partei kaum imstande sein wird. Ihre hochoffizielle Ehrung ist nicht im Interesse der Ärzte. Denn sie erteilt die formelle Kaution des Ärzteparlamentes an die Partei, die seit Jahren systematisch die Gesundheitsinteressen der Bevölkerung dem Vorteil der Wirtschaft opfert und das ­Gesundheitssystem für wirtschaftlichen Gewinn zu organisieren sucht [5, 6]. Mit dieser Haltung entfremdet sich der Vorstand der FMH ihren Mitgliedern [7], wie Ihre 59 Kollegen bezeugen, die Cassis’ Ehrung nicht unterstützten. Er entfremdet sich vor allem aber dem Teil der Bevölkerung, welcher sich seit der Finanzkrise, dem durch Steuergelder verhinderten Bankrott der Grossbanken und dem Imponiergehabe der Multinationalen im Bundesparlament nicht (mehr) mit der FDP identifizieren können.
Sie hätten gut daran getan, sich beim Antrag zur Ehrenmitgliedschaft von Ignazio Cassis zu erinnern, dass die besten Verbündeten der Ärzte ihre Patienten sind, die als Bürger Steuern und Versicherungsprämien bezahlen. Die einfachen Leute unterstützen unsere Korporation nur, wenn sie im Gewirr der Interessenkonflikte an deren Unabhängigkeit glauben können. – Der radikale freisinnige Ignazio ­Cassis als FMH-Ehrenmitglied ist hierzu nicht das geeignete Signal.