Sparen: Zuerst bei den Strukturen, zuletzt bei den Patienten

FMH
Ausgabe
2018/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06418
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(08):06418

Affiliations
Dr. med., Präsident der FMH

Publiziert am 21.02.2018

Der im Oktober 2017 vom Eidgenössischen Departement des Inneren (EDI) vorgelegte Expertenbericht «Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» [1] hat bislang vor allem wegen seiner Forderung einer «verbindlichen Zielvorgabe für das OKP-Kostenwachstum» [1] Aufmerksamkeit generiert. Weil solche Globalbudgets die Qualität und die Zugänglichkeit der Gesund­heitsversorgung zwangsläufig verschlechtern, positio­nierten sich Verbände der Patienten, Ärzte, Spitäler, Krankenkassen, Pharmaindustrie und Apotheker gemeinsam klar gegen die Einführung undifferenzierter Kostendeckel [2]. Wer dies als «Aufschrei der Profiteure» [3] verunglimpft, verkennt, dass all diese Akteure täglich einen Beitrag zu einem der inter­national besten Gesundheitswesen leisten, damit in allererster ­Linie einer profitiert: der Patient.
Der Vorschlag der Experten zukünftig die Gesundheitsversorgung über Budgets zu beschränken, überrascht nicht, denn bereits der Auftrag des EDI hatte vorgegeben, «Steuerungsinstrumente bei den Budgets oder der Menge der zu erbringenden Leistungen» [4] vor allem aus Deutschland und den Niederlanden zu analysieren. Wenn man von dieser Tendenz absieht, grundsätzlich ein «stärkeres Eingreifen» [1] und eine «Gesamtsteuerung» [1] des Staates zu fordern, finden sich unter den insgesamt 38 aufgeführten Mass­nahmen jedoch auch viele zielführende Ansätze. Dass sich mehrere Forderungen des Expertenberichts sogar mit der Stossrichtung von FMH-Positionen zum Kostendämpfungspotential im Gesundheitswesen decken, zeigt ein Beitrag auf Seite 224 in dieser Ausgabe [5]. Aus ärztlicher Sicht sind in erster Linie Kostendämpfungsmassnahmen zu verfolgen, die Effizienz steigern ohne die Versorgung zu beeinträch­tigen.
Denn insbesondere die Strukturen und die Finanzierung unseres Gesundheitswesens bergen ungenutztes Potential zur Kostendämpfung. Darum begrüsst die FMH auch, dass der Expertenbericht die Kleinräumigkeit unserer 26 Gesundheitssysteme kritisiert und bspw. eine überregionale Spitalplanung oder die Lösung der Governance-Probleme der Kantone anmahnt. Auch Spitäler, die mengenbezogene Boni bezahlen, von Spitallisten auszuschliessen, könnte einen von der FMH seit Jahren kritisierten Missstand beheben [6]. Strukturell anzusetzen hiesse aber auch mittels einer konsequenten einheitlichen Finanzierung Effizienz­potentiale von jährlich etwa drei Milliarden Franken zu realisieren [7] – ohne dafür Versorgungsleistungen zu reglementieren oder einen neuen, steuernden Verwaltungsapparat schaffen zu müssen. Hier bleibt der Expertenbericht leider hinter den bestehenden Möglichkeiten zurück.
Ein weiteres im Expertenbericht und auch allgemein von der Politik weitgehend ignoriertes, aber gewich­tiges Effizienzpotential liegt in der Reduktion der ­administrativen Belastung. Alleine um den ständigen Zuwachs an Patientendokumentation bewältigen zu ­können, braucht es in der Schweiz jedes Jahr rund 100 zusätzliche Spitalärztinnen und -ärzte mit Vollzeitpensum [5]. Und auch im ambulanten Bereich kann nicht einmal mehr die Hälfte der Grundversorger min­destens 75% ihrer Arbeitszeit mit Patientenkontakten verbringen [8]. Wer Effizienz steigern und Kosten ­senken möchte, muss die administrative Belastung ­reduzieren – und keine neue schaffen.
Die Kostendämpfungsvorschläge der FMH [5] zeigen auf, wo Einsparungen ohne Einschränkungen der ­Pa­tientenversorgung realisierbar sind. Dies sollte auch bei der Umsetzung von Massnahmen des Experten­berichts im Vordergrund stehen. Denn solange ineffiziente Strukturen und ein unzulängliches Finanzierungssystem fortbestehen, ist es kaum zu rechtfertigen notwendige Versorgungsleistungen zu reduzieren.
1 Kostendämpfungsmassnahmen zur ­Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Bericht der Expertengruppe. 24. August 2017.
2 Gemeinsame Medienmitteilung der FMH, H+, Interpharma, ­pharmaSuisse, SPO und ­santésuisse. Bern, 25. Oktober 2017; Globalbudgets sind leicht­fertige Experimente zu Lasten der Patientinnen und Pa­tienten.
3 Adrian Riklin. Aufschrei der Profiteure. Welt­woche 44/2017 vom 2. 11. 2017
4 Medienmitteilung des BAG vom 2. 9. 2016; ­Mengenwachstum im Gesundheitswesen eindämmen – zusätzliche Massnahmen nötig.
5 Wille N, Glarner J, Schlup J. Die FMH zur Dämpfung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen. Schweiz Ärztezeitung. 2018;99(8):224–6.
6 Meyer, B. Boni-die Position der FMH. Schweiz Ärztezeitung. 2013;94: 51/ 52; S. 1935–7.
7 Klaus G; Dank einheitlicher Finanzierung mehr Effizienz; Helsana Standpunkt 4/16; S.3–5
8 OBSAN, Analyse des International Health Policy Survey (IHP) 2015 und OBSAN, Analyse des International Health Policy Survey (IHP) 2012.