Antwort des Präsidenten der FMH

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06433
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(05):141

Publiziert am 31.01.2018

Antwort des Präsidenten der FMH

Sehr geehrter Kollege Kaelin
Gemäss den Statuten der FMH können «Persönlichkeiten, die sich um die Medizin, das Gesundheitswesen oder die FMH besonders verdient gemacht haben […], zum Ehrenmitglied ernannt werden» (Art. 7). Offensichtlich ist die Mehrheit der in der Ärztekammer stimmberechtigten Ärztevertreterinnen und -vertreter zu einem anderen Urteil über die Verdienste von Herrn Cassis gekommen als Sie und hat die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft befürwortet.
Für einige der Delegierten mag als Grund ausreichend gewesen sein, dass mit BR Cassis nach 105 Jahren nun wieder ein Arzt in den Bundesrat gewählt worden ist. Ein weitaus wichtigerer Grund für diese Ehrenmitgliedschaft ist in meinen Augen aber die Anerkennung seines 30-jährigen Einsatzes – nicht nur, aber auch – für die Ärzteschaft. Mit Ignazio Cassis haben wir einen Bundesrat, der sein erstes politisches Amt beim VSAO innehatte und der über fast zehn Jahre als Kantonsarzt das Dolmetschen zwischen Medizin und Politik perfektionierte. Mit Ignazio Cassis hat die Bundesversammlung 2017 jemanden zum Bundesrat gewählt, den 2008 auch die Ärztekammer für den Zentralvorstand als geeignet ansah und den sie damals mit 81% der Stimmen zum ersten Vizepräsidenten der FMH wählte. In einer Zeit, in der es der Gesundheitspolitik vielfach an einer übergreifenden Gesamtperspektive mangelt, sehe ich es als Vorteil an, dass er nicht nur Arzt und 30 Jahre FMH-Mitglied ist, sondern u.a. auch als Präsident eines Krankenkassenverbandes wirkte, sich bei Curaviva, Equam und Radix einsetzte, Parteiaufgaben wahrnahm und sich als Politiker besonders erfolgreich im Gesundheitsbereich engagierte. Dass er als Arzt zum zielstrebigen, gut vernetzten Politiker geworden ist, taugt in meinen Augen nicht als Vorwurf 
und ist auch kein Widerspruch, im Gegenteil: Nicht nur die Ärzteschaft, sondern auch ­unsere Patienten und Patientinnen sowie das Gesundheitswesen als Ganzes bräuchten mehr solcher Kollegen und Kolleginnen.
Der Umstand, dass Sie – und sicher auch ­einige andere – sich an politischen Positionen von Ignazio Cassis stossen, spricht in meinen Augen nicht gegen die Verleihung einer ­Ehrenmitgliedschaft. Als Berufsverband sind wir in Hinblick auf parteipolitische Ausrichtungen naturgemäss heterogen – es hat sich ja niemand aufgrund seiner politischen Einstellung für ein Medizinstudium entschieden. So war z.B. mein Vorgänger SP-Mitglied, ich gehöre der FDP an, und die zukünftigen Prä­sidenten werden weitere Parteipräferenzen zeigen. Entscheidend ist nur, dass wir unser Bestes geben, um die Anliegen der Ärzteschaft zu vertreten, und uns für ein «patienten­be­zo­genes Gesundheitswesen» und «eine hoch­stehende ärztliche Versorgung zu angemessenen Kosten einsetzen» (Statuten, Art. 2). Dabei findet sich über Parteigrenzen hinweg immer wieder ein grosser gemeinsamer Nenner. Dass es auch Meinungsunterschiede gibt, ist das Wesen der Politik. Könnten wir nur Per­sonen die Ehrenmitgliedschaft verleihen, die ­allen Mitgliedern politisch genehm sind, müssten wir die Ehrenmitgliedschaft abschaffen – oder sie käme zumindest nicht mehr für Persönlichkeiten mit klaren Haltungen in Frage.
Insofern denke ich, dass es uns Ärzten oftmals gut täte, mehr auf das Gemeinsame zu schauen und tatkräftiges Engagement für das Gesundheitswesen abseits von politischen Differenzen zu würdigen. Sie dürfen mich gerne daran erinnern, wenn ein FMH-Mitglied mit anderer politischer Ausrichtung in den Bundesrat gewählt wird.
Mit freundlichen Grüssen