Über das Stethoskop und seine Wandlungen als Symbol

Zu guter Letzt
Ausgabe
2018/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06472
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(12):06472

Affiliations
Prof. Dr. rer. soc., Redaktor Kultur, Geschichte, Gesellschaft

Publiziert am 21.03.2018

Neulich las ich einen Zeitungsartikel über den «MoCa»-Test, mit dem Donald Trumps Leibarzt dessen geistige Fähigkeiten untersucht hat. Ein Foto zeigte den Entwickler des Tests, den libanesisch-kanadischen Neurologen Ziad Nasreddine. Man sah, wie er in Hemd und Krawatte vor einem Computerbildschirm offenbar gerade einer Person dynamisch etwas zu erklären versucht. Um seinen Nacken lässig ein Stethoskop hängend.1
Herr Nasreddine scheint ja als Alzheimer-Spezialist auch zu praktizieren. Ich kann mir aber nur mit Mühe vorstellen, dass er noch kurz vor dem Fototermin einem seiner neurologischen Patienten mit dem Stethoskop den Brustkorb, das Herz oder die Därme abgehört hatte und einfach keine Zeit mehr war, das Ding wegzulegen. Ein anderes im Web verfügbares Foto zeigt ihn vor ­einer Wand mit gerahmten Diplomen im kompletten Anzug – und wieder mit einem darüber drapierten Stethoskop. Ich möchte dem Herrn nicht zu nahe treten, aber die Zeit, in der ein Arzt seine Patienten im Veston bzw. Sakko abgehorcht hat, liegt viele Generationen hinter uns. Wenn schon nicht mehr im weissen Kittel, dann arbeiten Ärzte heute im Hemd. Ich werde den Verdacht nicht los, dass das Stethoskop hier mehr als Symbol denn als Handwerkszeug eingesetzt wurde. Das hat es mit Diplomen gemein. Beide haben eine praktische Funktion, aber sie transportieren auch Botschaften.
Nun gut, vielleicht war es ja der jeweilige Fotograf, der gesagt hat: «Herr Nasreddine, legen Sie sich doch noch ein Stethoskop um, damit man Sie auch ohne weissen Kittel als Arzt erkennt.» Wir wissen es nicht. Stereotype werden aber oft von den Aussenstehenden gemacht.
Was wir wissen, ist, dass sich das Stethoskop in seiner modernen Form im letzten Jahrhundert neben dem weissen Kittel zu einem Erkennungszeichen des Arztberufs und zum Symbol ärztlicher Kompetenz und ­Autorität entwickelt hat. Vor langer Zeit las ich in einer amerikanischen Tageszeitung ein Interview mit einem erfahrenen ärztlichen Gerichtsgutachter. Er habe seit Jahrzehnten nicht mehr praktiziert, meinte er, aber in seinem Aktenkoffer führe er immer ein Stethoskop mit sich, das er bei Bedarf heraushole. Das verleihe ihm dann mehr ärztliche Autorität.
Ein Helferlein beim Aufstieg dieses Autoritätssymbols war die klassische Blutdruckmessung mithilfe des Stethoskops. Als sie sich ab etwa 1900 in den Kliniken ausbreitete, wollten viele Ärzte, dass sie alleine diese Innovation einsetzen dürften. In der Mitte des letzten Jahrhunderts war der Blutdruck dann aber zur Routine-Diagnostik geworden und wurde nun zunehmend auch vom nichtärztlichen Personal gemessen. Für dieses waren – in den USA der 1960er-Jahre etwa – Stethoskope im Handel, die sich in Namen («assistoscope», «nurse-o-scope»), in der Pastell-Färbung und im leichten Material von den schweren, schwarz-metallischen Stethoskopen der Ärzte unterscheiden sollten.2 Und dennoch denke ich, dass die Götterdämmerung dieses Autoritätssymbols spätestens dann nicht mehr aufzuhalten war.
Eine meiner Lieblings-Medizinkarikaturen3 zeigt einen Patienten auf dem Schragen sitzend. Der Arzt steht mit weissem Kittel, Stethoskop und Stirnspiegel da­neben. Der Patient fragt: «Wozu dient eigentlich dieses Ding da auf dem Kopf?» Der Arzt antwortet: «Um uns in Cartoons als Ärzte zu identifizieren.» Das Autoritätssymbol wird zum Klischee. Und wohlgemerkt, hier geht es um den Stirnspiegel, der heute weitgehend durch ­batteriebetriebene Untersuchungsgeräte ersetzt ist. Das Stethoskop hängt derweil kaum sichtbar um den Hals.
Eine impressionistische Bildanalyse im Internet zeigt, dass das Stethoskop heute schon noch für «Arzt» steht – und oft auch für «Ärztin». Es symbolisiert dort aber genauso auch «Medizin» allgemein. Faschingskostüme sind eine wunderbare Quelle für (oft veraltete) Klischeevorstellungen. Das Stethoskop gehört neben dem Häubchen oft zum «Krankenschwestern»-Set.
Und dann steht das Stethoskop als Zeichen auch ganz allgemein für «Diagnose».
Es ist zum Beispiel das Erkennungszeichen der App «Festplattendienstprogramm» auf Apple-Computern. Das Stethoskop als Zeichen ärztlicher Autorität ist also auch nicht mehr das, was es früher einmal war. Ich warne Herrn Nasreddine und alle seine Kolleginnen und Kollegen deshalb, sich mit Stethoskop ablichten zu lassen. Vielleicht werden Sie dann bald gebeten, sich doch einmal eine defekte Festplatte genauer anzusehen.
eberhard.wolff[at]saez.ch