Das neu geartete Genfer Gelöbnis entspricht einem Staatsstreich

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06543
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(10):304

Publiziert am 07.03.2018

Das neu geartete Genfer Gelöbnis entspricht einem Staatsstreich

Brief zu: Wiesing U, Parsa-Parsi R. Der Weltärztebund hat 
das Genfer Gelöbnis revidiert. Schweiz Ärztezeitung. 2018;99(8):247–9.
Das neu geartete Genfer Gelöbnis, verabschiedet an der 68. Generalversammlung des Weltärztebundes am 14. Oktober 2017 in Chicago, entspricht einem Staatsstreich. Mit der Einführung des Wellbeing des Arztes und der Ökonomisierung bricht es mit der humanitären Tradition, an die gerade im Genfer Gelöbnis von 1948 angeknüpft werden sollte, nachdem durch die Teilnahme zahlreicher Ärzte an Gräueltaten, nicht nur in Nazideutschland, viele Menschen das Vertrauen in die Ärzte verloren hatten. Die Einführung des Wellbeing ist ein Schlag ins Gesicht für alle Notleidenden und Kranken auf dieser Welt und deren Ärzte, die bis zur Erschöpfung versuchen, Krankheiten zu heilen und Leben zu retten. Die Quellenlage, auf die Wiesing verweist, um zu belegen, dass erwiesen sei, dass «ermüdete» Ärzte unnötige Fehler machen, ist dermassen dürftig, dass es jedem verantwortungsvollen Arzt die Schamesröte ins Gesicht steigen lässt, zu dieser Berufsgruppe zu ge­hören. Wiesing verweist zum Ersten auf ein «WMA Statement On Physicians Well-Being», verabschiedet an der Generalversammlung der WMA in Russland im Oktober 2015, in der die Vertreter der WMA sich darauf einigten, diesem Aspekt Beachtung zu schenken, ohne Beleg für die Notwendigkeit. Die zweite Literaturquelle ist eine Abhandlung von Wiesing selbst im Sinne philosophischer Erwägungen über die ethischen Dilemmata von Ärzten, die sich an feste Arbeitszeiten halten, um ebenfalls auf äusserst dürftiger Quellenlage zum Schluss zu kommen, dass Wellbeing für die Ärzte notwendig ist, da sie andernfalls ihren ­Patienten Schaden zufügen können (insbesondere unter Berücksichtigung der Genderpro­blematik und von Arbeitszeitverkürzungen in Spitälern der industrialisierten Länder). Der Beleg, auf den Wiesing verweist, ist also keiner und es gibt ihn nicht. Die angeblich neue Errungenschaft, dass nicht nur Schüler ihre Lehrer zu respektieren haben, sondern auch umgekehrt, ist geradezu lächerlich, beschreibt doch das Genfer Gelöbnis ebenso wie der ­hippokratische Eid eine Lebenshaltung des­jenigen, der den Beruf des Arztes ausübt, eine Lebenshaltung, die sich nicht nur auf die ­unmittelbare Ausübung der Profession beschränken darf, also selbstverständlich auch den Respekt gegenüber Schülern wie auch gegenüber jedem andern Menschen impliziert. Die Tradition des Genfer Gelöbnisses hat bewusst die Frage der Ökonomisierung der ärztlichen Tätigkeit nicht berücksichtigt gehabt (die in jeder Diktatur eine Rolle gespielt hat), ebenso wie dies beim hippokratischen Eid der Fall war, um hervorzuheben, dass der Arzt ­immer seinem Patienten verpflichtet ist und mit den vorhandenen Möglichkeiten (die in einem Industrieland anders sind als in einem Kriegsgebiet) alles tut, um Krankheiten zu heilen und Menschenleben zu retten. Mit der Einführung des Wellbeing und der Ökonomisierung in das Gelöbnis sind Grundlagen geschaffen, die geeignet sind, dass entsprechend disponierte Ärzte sich legitimiert fühlen können, unter dem Deckmäntelchen der Humanität Menschenleben zu zerstören, wobei den Schöpfern dieser Kreation vielleicht zugute­gehalten werden darf, dass sie nicht wissen, was sie tun. In einer Welt, in der wie 2016 in Kolumbien geschehen die «Mafia», sprich die FARC, den Friedensnobelpreis erhält, wäre es dringlich gewesen, dass die Ärzte zum Ausdruck bringen, dass sie ungeachtet der Wirrnisse in dieser Welt in der Lage sind, an ihren humanitären Grundlagen festzuhalten.