Psoriasis gehört thematisiert!

Tribüne
Ausgabe
2018/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06565
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(17):559-561

Affiliations
Dr. oec. HSG, Gesundheitsökonomische Beratungen AG, Küsnacht

Publiziert am 25.04.2018

Im Rahmen eines Workshops [1] haben sich verschiedene Akteure des schweizerischen Gesundheitswesens mit Psoriasis und den damit verbundenen Herausforderungen für das schweizerische Gesundheitswesen auseinandergesetzt.
Psoriasis ist eine nicht ansteckende, chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die mit erhöhter Schuppenbildung der Haut einhergeht. Sie kommt in unterschiedlichen Formen und Intensitätsgraden vor.
Doch Psoriasis ist mehr als «nur» eine Hautkrankheit. Sie stellt ein systemisches Leiden dar, das neben Folgeerkrankungen (Komorbiditäten) auch eine psychische Belastung für die Betroffenen darstellen kann. Die Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf wies im Jahr 2014 mit der Resolution 67,9 auf die Dringlichkeit einer Verbesserung der weltweiten Psoriasis-Versorgung hin.

Verbreitung

Gemäss WHO stellt Psoriasis eine der schwersten nicht infektiösen Krankheiten der Welt dar. In westeuropäischen Industriestaaten, auch in der Schweiz, wird der Anteil der betroffenen Patienten auf rund zwei Prozent der gesamten Bevölkerung geschätzt. Die Dunkelziffer scheint gross zu sein. Es dürfte also eine relativ hohe Anzahl nicht diagnostizierter und nicht behandelter Psoriatiker geben.
Eine besondere Herausforderung für die Zukunft dürften vor allem die Patienten mittleren Schweregrades sein. Bei ihnen dürfte sich verstärkt die Frage stellen, wie ihr Zustand so stabilisiert werden kann, dass sie nicht zu kostenintensiven schwereren Fällen werden. Dafür bedarf es auch besserer Datengrundlagen.

Neue Therapieoptionen

Waren die Behandlungsmöglichkeiten früher auf Kortison und Lokaltherapien beschränkt, gibt es inzwischen systemische Therapieformen, innovative Arzneimittel und Phototherapie. Neue Therapieoptionen können den Zustand der Betroffenen signifikant verbessern. In schweren und therapieresistenten Fällen können sogenannte Biologika zum Einsatz kommen. Sie stellen künstlich hergestellte Antikörper dar, die gezielt gegen Psoriasis wirken und kommen dann zur Anwendung, wenn herkömmliche Behandlungsmethoden nicht die gewünschte Wirkung erzielt haben. Angewendet werden Biologika bei Patienten, die unter einem Psoriasis-Flächenbefall von mehr als 10 Prozent der Haut oder 
an einer starken Einschränkung der Lebensqualität (z.B. mit Befall an Handflächen, Fusssohlen, im Gesicht oder im Genitalbereich) leiden.

Kosten

Für die Schweiz, aber auch für andere westeuropäische Länder, existieren nur wenige Kostendaten zu Psoriasis. Oft beschränken sich diese auf die Medikamentenkosten, selten noch auf die gesamten Behandlungskosten (direkte Kosten). Navarini u.a. [2] kamen in ihrer Arbeit auf jährliche Out-of-Pocket-Ausgaben [3] von 600 bis 1100 Schweizer Franken für Patienten mit milderer Psoriasis und 2400 bis 9900 Schweizer Franken für ­Patienten mit schwereren Formen. Die jährlichen direkten Kosten werden für die Jahre 2004/5 auf 314 bis 458 Millionen Schweizer Franken geschätzt. Die Zahlen berücksichtigen wegen ihres älteren Datums die neueren Entwicklungen insbesondere im Bereich der Bio­logika kaum. Praktisch inexistent sind Angaben zu den indirekten Kosten von Psoriasis und ihrer Folgeerkrankungen in Form von erhöhter Morbidität und Mortalität.
Dabei leiden Psoriasis-Patienten häufig an Begleiterkrankungen. Dazu gehören u.a. Psoriasis-Arthritis, Erkrankungen des Darms, Übergewicht und damit verbunden Diabetes sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Förderung der Kenntnisse um die entsprechenden Zusammenhänge und Gesundheitskompetenz käme eine wichtige, die Therapie fördernde, ergänzende Bedeutung zu.

Stichwort: Stigmatisierung

Der Einfluss von Gesundheitsligen, Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen ist jedoch beschränkt. Neben allgemeinen Hindernissen wie zu wenigen Ressourcen (Geld und Personal) dürfte bei Psoriasis die Stigmatisierung von besonderer Bedeutung sein (eine am Workshop teilnehmende Person formulierte: «Die Leute gehen nicht gern an öffentliche Anlässe.»). Zu prüfen wäre in der Zukunft, wie weit neben dem bisherigen Engagement insbesondere der Industrie, Angehöriger verschiedener Gesundheitsberufe und der Mitglieder weitere Gefässe genutzt werden könnten, um zu zusätzlichen Ressourcen zu kommen. Genannt wurden insbesondere das geplante Massnahmenpaket II im Rahmen der eidgenössischen Strategie bei nicht übertragbaren Krankheiten (NCD-Strategie [4]) mit dem Ziel der Stärkung der Sekundär- und allenfalls Ter­tiärprävention sowie mögliche Pilotprojekte zur Ent­stigmatisierung in ausgewählten Kantonen. Denn ­Entstimatisierung muss da erfolgen, wo das Leben stattfindet. Lehrern käme beispielsweise in Schulen eine wichtige Mediatoren-Funktion zu, aufklären zu können, dass Psoriasis «nichts Böses, nichts Ansteckendes» ist. Verwiesen werden kann auch auf die in Deutschland durchgeführte «Bitte berühren»-Bewusstseins-Bildungs-Kampagne.

Psoriasis in der Ausbildung bislang kaum ein Thema

Mehr Information ist auch beim medizinischen Fachpersonal gefragt. Im Rahmen der Ausbildung Allgemeinmedizin erhalten zukünftige Hausärzte bis zum Studienabschluss insgesamt eine einzige Stunde Ausbildung zu Psoriasis. Wichtig wäre, die Bewusstseinsbildung über den Stand der Therapiemöglichkeiten zu stärken. Als besonderes Problem im Rahmen der praktischen Tätigkeiten unterschätzt bzw. zu wenig wahrgenommen werden auftretende Multi-Morbiditäten wie Arteriosklerose, schlechte Blutfette, rheumatolo­gische Beschwerden und kardiale Probleme. Diese ­werden möglicherweise vom Grundversorger durchaus erkannt, aber nicht in Verbindung zur Psoriasis gebracht.
Diese Informations-Vermittlung darf sich jedoch nicht allein auf die Ärzteschaft beschränken, sondern sollte andere Gesundheitsfachpersonen miteinschliessen. Dies gilt umso mehr, als viele Menschen heute über keinen Hausarzt mehr verfügen und sich verschiedene andere niederschwellige Angebote entwickelt haben wie beispielsweise der Apotheker. Der Arzt ist zwar weiterhin ein wichtiger Therapieentscheider, doch wichtige andere Akteure kommen hinzu. Diesen veränderten Gegebenheiten gilt es angemessen Rechnung zu tragen.
Bei einem informierten, regelmässigen und strukturierten Austausch zwischen Dermatologen, Allgemeinmedizinern und Apothekern beispielsweise könnte die Versorgung in der Fläche verbessert und die Überlastung der dermatologischen Praxen mindestens teilweise vermieden werden.

Schnelle Diagnose sollte Standard sein

Möglichst schnell richtig zu diagnostizieren, den richtigen Entscheid bzgl. der geeigneten Therapie zu fällen und diese dann im Rahmen einer regionalen inter­disziplinären und interprofessionellen Betreuung sicherzustellen, ist auch bei Psoriasis als Standard anzu­streben. Sämtlichem Gesundheitsfachpersonal könnte beispielsweise im Rahmen seiner Weiterbildung vermittelt werden, jeden Psoriatiker nach Gelenkschmerzen zu fragen.
Soweit möglich und sinnvoll sollen auch die modernen Informations- und Kommunikationsmittel beispielsweise aus der Telemedizin genutzt werden, um ziel­gerichtet niederschwellige Angebote weiter zu fördern. Sie können dazu beitragen, Expertise vermehrt wohnortsnah, insbesondere auch in ländliche Regionen zu bringen und neue Coaching-Möglichkeiten für und mit dem Patienten zu eröffnen, um dessen Selbstkompetenz zu stärken.

Guidelines

Wichtige Grundlagen für die genannten Handlungs­felder wurden bereits erarbeitet. So wurden beispielsweise Guidelines [5] für die Behandlung entwickelt, welche die spezifischen Rahmenbedingungen in der Schweiz zu berücksichtigen versuchen und nicht nur rein medizinische, sondern auch Lebensqualitäts-bezogene Einschränkungen beim Patienten berücksichtigen. In ­Ergänzung zur Sprechstunde sind Entscheidungs- und Unterstützungssysteme entwickelt worden bzw. am Entstehen. Gemeinsame Sprechstunden von Dermatologen und Rheumatologen bei Existenz von Gelenkschmerzen stellen eine weitere Facette dar. Lückenhaft sind dagegen noch Interdisziplinarität und Interprofessionalität in der Begleitung des Patienten.
Erst in der Entstehung befindet sich die Entwicklung einer positiven Rolle der Früherkennung, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustands zu vermeiden. Anderseits gilt es auch das andere Extrem zu vermeiden, wonach die Dermatologen für den Krankenver­sicherer zum reinen «Durchlauferhitzer» Richtung Verschreibung hochpreisiger Medikamente und damit zum «Risikofaktor» für Folgekosten beim Rheumatologen ohne erkennbaren Zusatznutzen werden. Welchen Beitrag beispielsweise der frühere Einsatz von Biologika in diesem Zusammenhang leisten kann, ist noch offen und bedarf der Klärung.
Ausserdem sind Veränderungen auf der Ebene der ­Tarifstrukturen zu thematisieren, um das notwendige Patientengespräch und den interdisziplinären Austausch nicht unnötig zu limitieren.

Fazit

Es war nicht Ziel dieses Workshops, fixfertige Lösungen für die Herausforderung Psoriasis zu präsentieren. Offensichtlich geworden ist aber, dass ein vermehrter institutioneller und informeller Austausch zwischen clinical und non-clinical Stakeholdern nicht nur, aber gerade auch im Bereich Psoriasis dringend geboten ist. Dies dürfte vermehrt ermöglichen, einerseits Erfahrungen aus den Exzellenzzentren in die flächendeckende Versorgung zu transportieren, anderseits aber auch ausserklinischen Aspekten, insbesondere der ­Lebensqualität und neuen niederschwelligen Versorgungsangeboten vermehrte Beachtung zu schenken. Wenn die Publikation der Ergebnisse dieses Workshops einen Beitrag zu einer grösseren Bewusstseinsbildung über die Versorgung von Psoriasis leisten kann, wäre dies im Sinne der Teilnehmer.
Am Workshop nahmen teil (in alphabetischer Reihenfolge):
Bert Haak, stellvertretender Geschäftsführer, Schweizerischer Verband für Gemeinschaftsaufgaben der Krankenversicherer SVK, Solothurn; Ruth Humbel, Nationalrätin, Birmenstorf; ­Philipp Krähenmann, Sekretär, Schweizerische Psoriasis- und Vitiligo-Gesellschaft, Bern; Prof. Dr. Alexander A. Navarini, Oberarzt, Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich; Dr. Willy Oggier, Gesundheitsökonomische Beratungen AG, Küsnacht (Moderation); Kathrin Schäppi, Leiterin Marketing und Online-Plattformen, aha! Allergiezentrum Schweiz, Bern; Erich Tschirky, Geschäftsführer GELIKO Schweizerische Gesundheitsligen-Konferenz, Zürich; Stefan Wild, CEO, Toppharm Apotheken, Münchenstein; Prof. Dr. Nikhil Yawalkar, stellvertretender Chefarzt, Universitätsklinik für Dermatologie, Inselspital Bern. Der Workshop wurde durch einen Beitrag von Eli Lilly (Schweiz) AG unterstützt.
Willy Oggier
info[at]willyoggier.ch
1 Teilnehmerliste siehe Kasten auf der ersten Seite.
2 Navarini AA, Laffitte E, Conrad C, Piffaretti P, Brock E, Ruckdaeschel S., Trüeb RM. Estimation of cost-of-illness in patients with psoriasis in Switzerland, Swiss Medical Weekly 2010;140(5):85–91.
3 Out-of-Pocket-Ausgaben stellen Ausgaben dar, die der Patient direkt aus dem eigenen Portemonnaie, eben out of pocket, bezahlt und nicht direkt von anderen Dritten, z.B. über Sozialversicherungen und/oder die öffentliche Hand (z.B. in Form von Ergänzungsleistungen) übernommen werden.
4 Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) (Hrsg.), Nationale Strategie Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie) 2017–2024, Bern, 2016.
5 Kolios AGA, Yawalkar N, Anliker M, Boehncke WH, Borradori L, Conrad C, Gilliet M, Häusermann P, Itin P, Laffitte E, Mainetti C, French LE, Navarini AA. Swiss S1 Guidelines on the Systemic Treatment of Psoriasis Vulgaris. Dermatology 2016;232:385–406.