Die Probleme der Medizin – welch spannende Herausforderung!

Zu guter Letzt
Ausgabe
2018/15
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06597
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(15):494

Affiliations
Dr. med. und Dr. phil.; Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, Mitglied FMH, Präsident Forum Medizin und Philosophie

Publiziert am 11.04.2018

In fast allen Zeitschriften und Journalen finden sich Rätsel und Knobelseiten. TV-Kanäle beliefern uns täglich mit Quizsendungen, in denen wir mit-raten, mit-denken und uns den «Kopf zerbrechen» können.
Vielen Menschen macht es offensichtlich Spass, Rätsel zu lösen oder über schwierige Fragen nachzudenken.
Da verwundert es mich, dass von all dem nicht viel zu spüren ist, wenn es um die ungelösten Fragen geht, welche das Gesundheitswesen umtreiben; und von ­denen gibt es bekanntlich jede Menge:
– wie lassen sich die steigenden Gesundheitskosten bremsen oder gar stoppen?
– was sind die Ziele und Aufgaben und, fast noch wichtiger, was sind nicht Ziele und Aufgaben der Medizin?
– wieviel Selbstverantwortung kann und darf von den Menschen im Hinblick auf ihre eigene Gesundheit erwartet werden?
– dürfen Patienten wirkungsvolle Behandlungen aus Kostengründen vorenthalten werden und falls ja, wer soll darüber entscheiden?
Klar, wenn wir diese (unvollständige) Liste durchgehen, ist leicht zu ersehen, dass es sich allesamt um schwierige Fragen handelt, deren Lösung nicht einfach in einem Kästchen unten links auf der Rätselseite frei Haus geliefert werden kann.
Trotzdem überrascht es, wie wenige kreative und zukunftsträchtige Ideen und Lösungsansätze in gesundheitspolitischen Diskussionen eingebracht werden. Dies hat wohl damit zu tun, dass noch (zu) wenig bekannt ist, dass beim Lösen von solchen Fragen eine Grundausbildung in der Methodik des Denkens und gewisse philosophische Kenntnisse hilfreich sind. Fehlen diese, beginnen wir uns mit unseren Gedanken bald einmal im Kreis zu drehen oder verrennen uns in Sackgassen.
Immerhin lassen sich in den letzten Jahren erfreuliche Entwicklungen feststellen. An Schweizer Universitäten sind philosophische Lehrgänge für Fachleute aus dem Gesundheitswesen entstanden [1] und es haben sich Gruppen gebildet, die sich, mit philosophischen Grund­kenntnissen ausgerüstet, daran machen, die ausgetretenen Pfade medizinischen und gesundheitspolitischen Denkens zu verlassen und neue Wege zu suchen. Eine dieser Gruppen, die sich Forum Medizin und Philosophie nennt [2], hat kürzlich beschlossen, vermehrt an die Öffentlichkeit zu treten und die wertvolle Plattform Tribüne der Schweizerischen Ärztezeitung dafür zu nutzen, grundlegende Themen der Medizin zur Sprache zu bringen.
In der nächsten Ausgabe der SÄZ wird ein erster Beitrag ein Thema aufgreifen, welches für die Zukunft der Medizin von grosser Bedeutung sein wird. Es geht um folgende Frage: «Welche Theorie des Menschen (bzw. welches Menschenbild) soll in Zukunft die Basis der medizinischen Praxis bilden?» Hinter dieser Frage steht erstens die Tatsache, dass jeder Praxis eine implizite oder explizite Theorie zu Grunde liegt; oder dass «es nichts Praktischeres gibt als eine gute Theorie [3].» Hinter dieser Frage steht zweitens auch die Hypothese, dass ein Teil der Probleme in der Medizin Folge eines Menschenbildes sind, welches der menschlichen Natur nicht gerecht wird.
Um neue und bessere Theorien zu finden, sei dies in der Medizin oder anderswo, sind (wie beim Lösen der Rätsel in Heftchen und Zeitschriften) Freude am Nachdenken und Ausdauer nötig. Hinzu kommen die soeben genannten Fachkenntnis und die Bereitschaft, die unglaublich komplexe menschliche Natur kennenlernen zu wollen. Neue Theorien finden ist wie eine ­Expedition in ferne Länder: abenteuerlich und bereichernd!
Pvanspijk[at]svsl.ch