«smarter medicine»: die «Top-5-Liste» der SRO

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Ausgabe
2018/1314
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06612
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(1314):431-432

Publiziert am 28.03.2018

Die amerikanische Gesellschaft für Radio-Onkologie (ASTRO) veröffentlichte in den Jahren 2013 und 2014 eine Liste mit den radio-onkologie-spezifischen Top-5-
Behandlungen, welche oft durchgeführt werden, aber unter den gegebenen Umständen nicht immer wirksam und zweckmässig erscheinen. Bei der Schweizer Gesellschaft für Radio-Onkologie (SRO) wurde diese Diskussion aus Amerika mit Interesse zur Kenntnis ­genommen und der Vorstand der Fachgesellschaft machte sich in der Folge Gedanken, eine eigene Top-5-Liste für den Fachbereich Radio-Onkologie in der Schweiz zu evaluieren und zu erstellen.
Die SRO möchte dazu beitragen, dass das Thema der bedarfsgerechten radio-onkologischen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Krebsleiden nicht nur innerhalb der Fachgesellschaft wahrgenommen und breit diskutiert wird, sondern auch eine multidisziplinäre und interprofessionelle Diskussion möglich wird zum Wohle der Betroffenen und Angehörigen als auch der beteiligten medizinischen Berufsgruppen.

Die Kampagne «smarter medicine»

Der neu gegründete Trägerverein verleiht der 2014 in der Schweiz lancierten Initiative «smarter medicine» Aufwind: Nebst medi­zinischen Fach- und Berufsorganisationen unterstützen auch Patienten- und Konsumentenorganisationen die Kampagne. Sie möchten gemeinsam die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass bei gewissen Behandlungen weniger Medizin mehr Lebensqualität für die Betroffenen bedeuten kann.
Sie knüpfen dabei an die erfolgreiche amerikanische Initiative «Choosing Wisely» an, welche zum Ziel hat, nicht nur «kluge Entscheidungen» herbeizuführen, sondern auch die offene Diskussion zwischen Ärzteschaft, den Patienten und der Öffentlichkeit zu fördern.
In den nächsten Monaten werden weitere medizinische Fachgesellschaften sogenannte Top-5-Listen mit unnützen Behandlungen in ihrem Fachbereich publizieren.
Weitere Informationen zum Trägerverein und eine Übersicht über die bestehenden Top-5-Listen ist unter www.smartermedicine.ch zu finden.
Die Schweizerische Gesellschaft für Radio-Onkologie empfiehlt, folgende fünf Interventionen in der Radio-Onkologie zu vermeiden:
1. Beginnen Sie bei Frauen im Alter von 50+ mit invasivem Brustkrebs im Frühstadium im Rahmen einer brusterhaltenden Therapie keine Gesamtbrustbestrahlung, ohne kürzere Behandlungspläne zu er­wägen.
– Die Gesamtbrustbestrahlung verringert das Risiko eines lokalen Rezidivs und verbessert die Überlebenschancen von Frauen mit invasivem Brustkrebs, die brusterhaltend therapiert werden. Bei den meisten Studien kam eine «Standardfraktionierung» zur Anwendung. Dabei erfolgte die Behandlung über fünf bis sechs Wochen, häufig gefolgt von ­einer ein- bis zweiwöchigen Zusatzbestrahlung (Boost).
– Jüngste Studien mit bestimmten Patientengruppen haben allerdings gezeigt, dass mit kürzeren Behandlungsplänen (rund vier Wochen) hinsichtlich Tumorkontrolle und kosmetischer Ergebnisse ähnliche Resultate erzielt werden. Patienten sollten die Optionen zusammen mit ihren Ärzten prüfen, um so den für sie am besten geeigneten Therapieverlauf zu bestimmen.
2. Beginnen Sie nicht mit der Therapie eines Niedrigrisiko-Prostatakarzinoms, ohne eine aktive Überwachung zu besprechen.
– Für Patienten mit einem Prostatakarzinom gibt es verschiedene sinnvolle Behandlungsmöglichkeiten. Dazu zählen Operation und Bestrahlung sowie bei bestimmten Patienten auch eine konservative Überwachung ohne Therapie.
– Wenn Arzt und Patient gemeinsam entscheiden, bedeutet dies meist eine bessere Übereinstimmung der Patientenziele und der Behandlung sowie auch eine effizientere Gesundheitsversorgung.
– ASTRO hat für die Behandlung von Prostatakrebs und anderen Krebsarten patientengerechte schriftliche Entscheidungshilfen veröffentlicht. Diese Dokumente können das Vertrauen der Patienten in ihre Therapiewahl erhöhen und so die Therapie­treue verbessern.

Zur Entstehung dieser Liste

Nachdem die Teilnahme der American Society for Radiation Oncology (ASTRO) an der Choosing-Wisely-Kampagne beschlossen war, wurde mit den ASTRO-Ausschüssen Health Policy, Government Relations sowie Clinical Affairs and Quality eine Umfrage zur Identifizierung möglicher Punkte für diese Liste durchgeführt. Darüber hinaus wurde eine Arbeitsgruppe mit in diesen Bereichen tätigen Ärzten gegründet und einberufen. Aufgabe der Arbeitsgruppe war es, Favoriten aus den Themen zu bestimmen, die im Zuge der ersten Umfrage vorgeschlagen wurden. Im Januar 2014 rief die ASTRO eine Arbeitsgruppe zur Erstellung ihrer zweiten Choosing-wisely-Liste ins Leben, die sich ebenfalls aus Vertretern der Ausschüsse Health Policy, Government Relations sowie Clinical Affairs and Quality zusammensetzte. Die Arbeitsgruppe kürzte in einem ersten Schritt eine Liste mit potenziellen Vorschlägen. Danach wurden die ASTRO-Mitglieder in einer ano­nymen elektronischen Umfrage gebeten, Nutzen und Relevanz der jeweiligen Punkte zu bewerten. Die definitive Auswahl der einzureichenden Punkte übernahm der Vorstand der ASTRO.
Die Schweizerische Gesellschaft für Radio-Onkologie hat die von der ASTRO publizierte «Choosing-Wisely»-Liste geprüft und eine Auswahl der Empfehlungen auch für die Schweiz für anwendbar und vernünftig befunden.
Eine ausführliche Literaturliste sowie Empfehlungen von weiteren Medizinischen Fachgesellschaften sind online abrufbar unter www.smartermedicine.ch
3. Verwenden Sie bei der palliativen Behandlung von Knochenmetastasen nicht routinemässig ausgedehnte Fraktionierungen (>10 Fraktionen).
– Studien zeigen eine identische Schmerzlinderung nach einer Bestrahlungsdosis von 30 Gy in 10 Fraktionen, 20 Gy in 5 Fraktionen oder nach einer einzelnen Fraktion mit 8 Gy.
– Eine Einzeit-Bestrahlung ist zwar bequemer, kann jedoch zu einer leicht höheren Wiederbestrahlungsrate beim selben Tumorherd führen.
– Bei Patienten, die eine schlechte Prognose aufweisen oder bei denen Transportschwierigkeiten bestehen, sollte auf jeden Fall eine 8-Gy-Einzelfraktion in Erwägung gezogen werden.
4. Empfehlen Sie bei Patienten mit Niedrigrisiko-­Endometriumkarzinom nach operativer Entfernung der Gebärmutter keine Bestrahlung.
– Patienten mit Niedrigrisiko-Endometriumkarzinom (einschliesslich Patienten ohne Resterkrankung bei Gebärmutterentfernung trotz positivem Biopsieergebnis), einer Tumorausdehnung Grad 1 oder 2 und einer Infiltration des Myometriums von weniger als 50%, die keine weiteren Hochrisi-
­ko­faktoren wie Alter >60, Lymphgefässinvasion oder Befall des Gebärmutterhalses aufweisen, haben nach einem chirurgischen Eingriff ein sehr ­geringes Rezidivrisiko.
– Eine Meta-Analyse von Studien zur Strahlen­-
the­rapie bei Niedrigrisiko-Endometriumkarzinomen weist auf erhöhte Nebenwirkungen und keinen Gesamtüberlebensvorteil gegenüber der alleinigen Operation hin.
5. Ordnen Sie bei gut abgegrenzten Gehirnmetastasen zusätzlich zur stereotaktischen Radiochirurgie nicht routinemässig eine unterstützende Ganzhirnbestrahlung an.
– Randomisierte Studien zeigten, dass eine zusätzlich zur stereotaktischen Radiochirurgie (SRS) angeordnete unterstützende Ganzhirnbestrahlung (WBRT) bei der Behandlung ausgewählter Patienten mit Gehirnmetastasen von soliden Tumoren und gutem physischen Zustand keinen Gesamtüberlebensvorteil bringt.
– Eine zusätzlich zur SRS angeordnete WBRT wird mit verringerten kognitiven Fähigkeiten und aus Patientensicht erhöhten Erschöpfungszuständen sowie einer insgesamt schlechteren Lebensqualität in Verbindung gebracht. Diese Ergebnisse decken sich mit der bei randomisierten Studien zur prophylaktischen Bestrahlung des Kopfes bei kleinzelligen oder nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen beobachteten und von Patienten selbst gemeldeten verringerten kognitiven Funktion und verbalen Ausdrucksfähigkeit.
– Patienten, die zur Behandlung von Gehirnmetas­tasen Radiochirurgie erhalten, können in anderen Gehirnregionen Metastasen entwickeln. Eine sorgfältige Überwachung und der umsichtige Einsatz ­einer Salvage-Therapie (Rettungstherapie) bieten geeigneten Patienten bei einem Rezidiv im Gehirn die höchstmögliche Lebensqualität ohne negative Auswirkung auf die Gesamtüberlebensrate. Patienten sollten diese Behandlungsoptionen mit ihrem Radio-Onkologen besprechen.
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