Heute ist der Tag: 5.4.2018

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06661
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(16):509

Publiziert am 18.04.2018

Heute ist der Tag: 5. 4. 2018

Heute ist der Tag, an dem ich zum letzten Mal Arzt bin. Juhuioo! 40 Jahre lang war ich Arzt in dieser Stadt! Eine Last fällt von mir, ein Panzer, ein enges Korsett werde ich los! 
Auch wenn ich schon alt, steif und zittrig bin, kann ich endlich wieder der Spinner sein, der ich immer sein wollte. Wow!
Heute bin ich frei und will fliegen, in die Wolken und das Licht des Frühlings! Seit 40 Jahren durfte ich im freisten Land der Welt auf eine Art Doktor sein, wie es nirgendwo sonst möglich gewesen wäre.
Jeden Tag sind mir Menschen in existentiellen Situationen begegnet, jeden Tag! Was für ein Geschenk! Du schaust Deinem Gegenüber in die Augen und weisst, was es heisst zu leben, jeden Tag! Du schaust auf das pralle Leben und Du darfst das nur, weil Du Deiner Rolle als Arzt immer und jederzeit gerecht wirst!
Bevor ich Arzt war, war ich ein wildes gehetztes Tier. Ich wurde Arzt, um auf dem Boden der Wirklichkeit anzukommen. Ich schnitt mir die verfilzten langen Kraushaare, ich wusch mich täglich, putzte die Zähne und die Fingernägel, ich zog meine stinkenden Gummistiefel und Hippieklamotten aus, ich stellte den Wecker, mässigte so weit möglich meine Sprache, ich war immer sofort wach und wenn es ging freundlich, nie bekifft, verliebt, betrunken, abwesend, unerreichbar, nein, auch beim Feiern oder Knutschen konnte jeder Blödmann oder Frau mich anrufen und gewiss sein, dass ich innert zumindest weniger Sekunden da war, wenn nötig total und sogar physisch. Auch im zugedröhntesten Zustand kannst Du als Arzt nie aufhören zu denken! Du weisst immer alles, nicht wahr!
Oh ja, ich habe meine ärztliche Arbeit nicht zuletzt dort gemacht, wo sie schmutzig und sogar gefährlich werden konnte. Ich wollte auch dort immer die bestmögliche Arbeit tun. Ich wollte alles wissen, was nötig war. Immer alles wissen, was nur schon nötig sein könnte, ist eine so unglaubliche Quelle von Stress! Juu­huii! Ich muss nichts mehr wissen! Nichts mehr nötigenfalls oder nur schon aus Gewohnheit besser wissen!
Ich bin nicht mehr Arzt! Fragt die Jungen, die sind unglaublich gut! Besser als wir je waren. Im Ernst!
Ja, Arzt sein ist ein erfüllendes Powergame! Nicht abstürzen zu dürfen: Toll! Es wird Dich nie mehr loslassen, denn es war immer das reale Leben und das reale Sterben und andere Verderben. Du warst Arzt, aha? Nein, haha! Ich bewundere Euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, und bin Euch dankbar. Da bleibt mir als Nicht-Arzt auch nichts anderes mehr übrig!
Doch, ganz im Ernst, ich wünsche Euch allen, allen viel Glück! Und danke allen!