Innovation Qualité: weder noch!

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/2829
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06787
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(2829):927

Publiziert am 10.07.2018

Innovation Qualité: weder noch!

Im Rahmen der Verleihung des neuen Qualitätspreises, «Innovation Qualité», der SAQM wurde erfreulicherweise ein präventiver Ansatz herausgegriffen [1, 2]. Eine multifakto­rielle Vorgehensweise zur Reduktion dia­betischer, insbesondere makrovaskulärer Komplikationen entspricht seit vielen Jahrzehnten an Diabeteszentren der gängigen Praxis: mit tatkräftiger Unterstützung zerti­fizierter Diabetesfachberater/-beraterinnen, die eine entsprechende strukturierte Weiterbildung an einer höheren Fachschule durchlaufen haben, werden die Vorteile einer multifaktoriellen Intervention beim T2DM im Sinne einer «sine qua non»-Bedingung [3] bereits seit vielen Jahrzehnten genutzt.
Im Rahmen wissenschaftlicher Studien, z.B. der Steno-2-Studie [3, 4], wurden diese Interventionen auf ihre relative Bedeutung im Rahmen der Risikoreduktion, d.h. auf ihre Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit, geprüft. Dabei zeigte sich, dass durch eine intensivierte Diabeteseinstellung, mehr noch aber durch eine intensivierte medikamentöse Lipid- und Hypertoniebehandlung eine rund 50-prozentige Reduktion des relativen makrovaskulären Risikos erreicht werden kann. Massgebend zu rund zwei Dritteln für dieses Ergebnis war in der Steno-2-­Studie eine Reduktion des LDL-Cholesterins (LDLC) um 47% von 3,45 auf 1,84 mmol/L. Eine Intervention zur Senkung des BMI trug zur ­Risikoreduktion direkt nichts bei [3, 4]. Aufgrund zahlloser Folgestudien, die analoge ­Ergebnisse lieferten, wurden in internationalen Konsensusvereinbarungen [5, 6] für viele Länder verbindliche Zielwerte festgelegt: LDLC <1,80 mmol/L bei T2DM mit einem zusät­zlichen Risikofaktor (Primärprävention)[5]; LDLC <1,30 mmol/L bei T2DM in der Sekundärprävention [5, 6].
Die nun im erwähnten Artikel [2] publizierte Tabelle 1 suggeriert durch die Wahl der grün hinterlegten Felder inkorrekte Zielwerte: LDLC <3,50 mmol/L (hellgrün) oder zumindest <3,00 mmol/L (dunkelgrün); erst ab 3,50 mmol/L befinden wir uns gemäss den Autoren im orangen Bereich. Die international ­sowie auch in der Schweiz aufgrund wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse gel­ten­den Zielwerte wurden offenbar gar nicht berücksichtigt oder waren den Autoren nicht bekannt, da eine Stratifizierung zu einer Gruppe von LDLC <1,80 bzw. <1,30 mmol/L nicht erfolgte. Somit lässt sich nicht erkennen, wieviel Prozent der Patienten die Zielwerte tatsächlich erreicht haben.
Werte, die einer Hypertonie Grad 1 (140–159/
90–99 mm Hg) entsprechen, sind ebenfalls hellgrün hinterlegt, obwohl diese Werte eindeutig nicht mehr akzeptabel sind [5, 6]. Auch hier befinden wir uns gemäss Autoren erst bei einer Grad-2-Hypertonie (160–179/100–109 mm Hg) im orangen Bereich. Im Vergleich zu den erwähnten publizierten Ergebnissen ist durch die beschriebene, aufwändige Intervention im Rahmen eines Hausarzt-Settings mit Einbezug eines «Coachs» keine Risiko­reduktion zu erwarten, da die LDLC-Werte absolut unverändert blieben, ja der Anteil der Patienten mit LDLC-Konzentrationen unter 3,0 mmol/L numerisch sogar abnahm (–1%). Die überwiegende Anzahl der Patienten (schätzungsweise 60–80%) erreichte die Zielwerte (LDLC <1,8 bzw. <1,3 mmol/L und Blutdruck <135/85 mm Hg) offenbar auch nach intensiviertem «Power-Management» nicht.
Angesichts dieser ungenügenden Situation davon zu sprechen, dass die 600 Patientinnen und Patienten, die in den Ergebnissen erwähnt werden, «... recht gut behandelt ...» sind, ist nicht nachvollziehbar. Zudem sind auch die WZW-Kriterien des «interprofessionellen Chronic Care Management» keineswegs erfüllt; da insbesondere deren Wirksamkeit und Zweckmässigkeit in dieser Studie nicht nachgewiesen werden konnte.
Die in der Schweizerischen Ärztezeitung prominent publizierte prospektive, interventionelle, nicht-kontrollierte Studie (Tab. 1) ist deshalb auch aus ethischer Sicht bedenklich und die Frage scheint berechtigt, weshalb Letztere von der zuständigen Ethikkommission bewilligt wurde. Unter Einbezug bereits zahlreich publizierter, kontrollierter Studien mit einem ähnlichen Ansatz war schon vor Studienbeginn keine signifikante Risiko­reduktion durch das mit dem «Innovation Qualité»-Preis prämierte Vorgehen zu erwarten. Die für die Risikoreduktion entscheidenden Faktoren sind bereits heute hinlänglich bekannt; alternative Modelle, die ausschliesslich Lifestyle-Änderungen zum Ziel haben, sind sicher wünschenswert, hatten aber bisher nie einen signifikanten Wirkungsnachweis erbringen können.
Heutzutage ist die Lipid- und Blutdrucksenkung auf akzeptable, für T2DM festgelegte Zielwerte praktisch bei jedem Patienten möglich, den korrekten Einsatz der entsprechenden lipid- und blutdrucksenkenden Medikamente (nicht nur Statine!) vorausgesetzt. Wie eingangs erwähnt besteht international schon seit vielen Jahren ein Konsensus, dass die dringliche ärztliche Aufgabe bei der Diabetesbehandlung die Erreichung dieser Zielwerte ist. Die Verleihung des «Innovation Qualité»-Preises erscheint mir hier schon fast zynisch.