Ist Doctor Fox wieder am Werk?

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06789
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(23):752

Publiziert am 06.06.2018

Ist Doctor Fox wieder am Werk?

Obwohl pensioniert, durchblättere ich doch recht häufig und recht gerne unser gelbes Standesblatt. Interessante Artikel sind nicht selten, es finden sich auch gescheite Diskussionen und Überlegungen, z.B. die Beiträge von Jean Martin zu ethischen Fragen. Am liebsten aber habe ich literarische und vor allem humoristische Aufsätze. Na, zugegeben: Ich rümpfe auch gelegentlich die Nase. Aber zu einem Leser­brief reichte es noch nie. Bis heute.
Ich stiess nämlich auf den Titel «Lean Hospital als Orchestrierung reflexiver Gestaltungspraktiken». Oh fein, dachte ich: Eine Glosse! Ich räkelte mich im Lehnstuhl zurecht und freute mich auf genüssliches Lesen. Ich las. Ich las ein zweites Mal (ich bin leider manchmal etwas begriffstutzig). Aber dann kam ich, leicht konsterniert, zum Schluss: Nein, das ist doch eher ernst gemeint. Zwar wurden alle meine Zweifel nicht ganz ausgeräumt, denn es wird sehr dick aufgetragen! Ich fragte mich, ist unsere gute Ärztezeitung einem neuen Doctor Fox auf den Leim gekrochen? Sie erinnern sich vielleicht: Der Doctor Fox war ein Schauspieler, der, von den Organisatoren bestellt, auf britischen Ärztekongressen brillant formulierte, aber inhaltlich völlig abstruse Vorträge hielt. Fragen aus dem Publikum wurden nachher nie gestellt, denn niemand wollte sich blossstellen und öffentlich zugeben, dass er etwas nicht ganz verstanden habe. Und bei der anonymen Bewertung der Kongressbeiträge durch die Teilnehmer kam der Doctor Fox immer sehr gut weg …
Nein, dachte ich, sowas kann der Redaktion unserer Zeitung doch nicht passieren! Also überlegte ich weiter (Sie erinnern sich, dass ich behaglich im Lehnstuhl sitze, was bekanntlich dem Nachdenken sehr förderlich ist). Erinnerungen an die Psychiatrie und die geschätzten Vorlesungen im Burghözli tauchten in mir auf. Ich holte den guten alten Bleuler (ich rede natürlich vom Lehrbuch) aus meiner Bibliothek. Zuerst musste ich ziemlich viel Staub wegblasen, aber ich fand, was ich suchte, und zwar auf Seite 585 (doch, doch: Sie können nachprüfen! Zwölfte Auflage). Auf dieser Seite ist vom sogenannten höheren Blödsinn die Rede. Wäre das eine plausible Erklä­rung? Na, warum nicht. Zu dieser Diagno­se passen die die seltsamen Wortschöpfungen und Anglizismen des Artikels: «Erwart­barkeit» (kennt der Duden nicht), «Huddle-Meeting», «Gestaltungspraktiken», «Gemba-Walks», «CIRS-Workshop», «Umsetzungsworkshop» usw. Auch der AküFi (Abkürzungsfimmel) der Autoren ist beachtlich. Die Behandlung der Patienten wird als «Wertschöpfung» bezeichnet, was selbstverständlich jeden budgetgeplagten Spitaldirektor freuen könnte, sofern ein solcher diesen Text zufällig zu Gesicht bekäme. Allerdings, so denke ich, hätte keiner meiner Direktoren die Lektüre weiter getrieben als zwei Zeilen nach dem ­Titel.
Es geht im Artikel offensichtlich um den Betrieb einer Notfallstation (ich bitte um Nachsicht für meine banale Ausdrucksweise). Allerdings bleibt unklar, ob es sich dabei um ein grosses Zentrum handelt, wo der Helikopter fast halbstündlich Schwerstverletzte einfliegt, oder um das Ambulatorium eines unserer sympathischen Kleinspitäler. Positiv fällt auf, dass die Autoren einer gewissen Einsicht und Selbstkritik fähig sind, erwähnen sie doch selbst die Gefahr, dass (ich zitiere) «mal wieder nur eine weitere Management-Sau durchs Dorf getrieben» werde.
Dieser Artikel erinnert mich an ähnliche Aufsätze aus der Zeit, als das TQM (Total Quality Management!) aufkam. Peter Aeberhard, einer meiner verehrtesten Lehrer, argwöhnte damals in seiner Abschiedsvorlesung, dass zwischen dem TQM und dem synchron auf­getretenen Rinderwahnsinn ein Zusammenhang bestehen könnte … Welche Seuche grassiert heute? Sind es die fake news? Fake science? Bin ich zu polemisch, wenn ich behaupte (auch ich beherrsche Abkürzungen): Dieser Artikel gehört in die Kategorie BoMi?