Gibt es eine Zukunft nach der Praxis?

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/22
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06795
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(22):710

Publiziert am 30.05.2018

Gibt es eine Zukunft nach der Praxis?

Lieber Daniel (Oertle) und André (Seidenberg),
Du, André, hast Deinen letzten Praxisarbeitstag am 5. April 2018 erlebt, Du, Daniel, wirst ihn am 3. März 2021 haben. Meiner war am 31. Dezember 2015. Ich bin einer der Glück­lichen, die eine Praxisnachfolge für ihre Allgemeinpraxis («natürlich» eine Nachfolgerin ...) gefunden haben, der ich meine Patient­Innen besten Gewissens übergeben konnte. Das ist ja leider keine Selbstverständlichkeit mehr und macht mich glücklich und dankbar. Ich habe in den 25 Praxisjahren mein Bestmögliches versucht. Vieles «gelang», anderes nicht. Und ich wusste beim besten Willen immer wieder nicht, wieso manches gelingen durfte und anderes nicht. Vieles war, ist und bleibt wohl ­rätselhaft. Die Last, die auf meinen Schultern ruhte, merkte ich im Übergeben der Praxis, und ich war erstaunt, wie spürbar die Ent-Last-ung, die Er-leichter-ung war. Nun habe ich (viel mehr) Zeit, meinen alte­n Hund zu streicheln, Zeit, einen Tee zu trinken, Zeit, mit Menschen, die mir wichtig waren und sind, Zeit zu teilen und zu verbringen – und Zeit, die ich verschenken kann. Und Raum für die Welt und was das Leben bringt. Ich mache die Erfahrung, dass das Leben sich lebt und sich mir zeigt, wenn ich dafür offen bin – ohne Anstrengung, ohne mein Zu-Tun – eher wohl in meinem Sein. Es wird mir nicht langweilig, und ich begegne nach wie vor vielen Geschichten. Ich musste nichts neu er­finden, durfte mich «einfach» finden lassen. Auch von der Fröhlichkeit. Von Ideen, die schon lange da waren und warten mussten oder die ich schon vergessen hatte. Ja, es gibt ein Leben nach der Praxis, ein gutes Leben – und ich bin dankbar und glücklich, dies(es) so er-Leben zu dürfen ...
Noch etwas: Ich nehme an, Ihr bekommt kein Abschiedssymposium und auch keine sonstige Veranstaltung für Eure Abschiede, wie dies in Institutionen so üblich ist. Keinen öffentlichen Dank. Und genau dies möchte ich an dieser Stelle tun: Euch von Herzen danken für all das, was Ihr geleistet habt und leistet. Dafür, dass Ihr zugehört habt und zuhört. ­Dafür, dass Ihr Euch gezeigt habt und zeigt, in Euren Stärken und Euren Zweifeln. Dafür, dass Ihr hingegangen seid und hingeht, hingeschaut habt und hinschaut. Dafür, dass Ihr die Welt etwas menschlicher und besser gemacht habt und macht. Ich möchte Euch meinen tief empfundenen Dank ausdrücken ... und Euch alles Gute wünschen, im Leben und Lieben nach der Praxis ...