Replik der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe SGGG auf den offenen Brief an die Präsidenten der Ärztegesellschaften

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/2627
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06868
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(2627):881

Publiziert am 27.06.2018

Replik der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe SGGG auf den offenen Brief an die Präsidenten der Ärzte­gesellschaften

Sehr geehrter Herr Kollege Gachoud und sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Foederatio medicorum helveticorum
Wir Ärzte, wir alle, die Fachärzte für all­gemeine innere Medizin, also die Hausärzte, und alle anderen Fachärzte haben gemeinsame Ziele (vgl. FMH-Statuten), dass «alle Pa­tientinnen und Patienten in der Schweiz ... ­einen gerechten Zugang zu einer qualitativ hochstehenden und finanziell tragbaren medizinischen Versorgung haben» und wir alle tragen dazu bei, keine Frage. Ebenso soll gemäss FMH-Statut die Solidarität ­zwischen den Mitgliedern gefördert und die ­Beziehung unter ihnen gefestigt werden. Arzthonorare sind ein beliebtes Thema, um genau diese Solidarität aufzubrechen (divide et impera). Selbstverständlich dürfen und sollen Diskussionen auf Faktenbasis geführt werden.
Sowohl Grundversorger als auch die Gynäkologen verrechnen ihre Grundleistungen über TARMED zum selben Ansatz. Schauen wir uns dazu einige Beispiele an. Während der Allgemeinmediziner seinen internistischen Status pro 5 Min. über die Pos. 00.0425 (10.42 AL pro 5 Min.) abrechnet, wird der Gynäkologe seine fachärztliche Untersuchung über die Pos. 22.0030 ebenfalls mit 10.42 AL pro 5 Min. fakturieren. Analoges gilt für Ultraschallleis­tungen: der Generalist wird die Abdominal­sonographie Pos. 39.3240 (63.72 AL / 42.73 TL) verrechnen, der Gynäkologe die Vaginalsonographie über die Pos. 39.3320 (56.64 AL / 42.73 TL). Während der Grundversorger beim Hausbesuch neben der reinen Besuchszeit eine Wegpauschale verrechnen kann (10.42 AL / 8.19 TL pro 5 Min.), darf der Gynäkologe keine Wegpauschale für die ambulante Operation in der Tagesklinik verrechnen. Für eine Abort-Kürettage (20 Min.) werden 109.41 AL erwirtschaftet (die TL behält die Tagesklinik). Für ­einen 20-minütigen Hausbesuch erhält der Grundversorger – zusammen mit der Wegpauschale – deutlich mehr.
Honorare sollten auch ein Abbild der Weiterbildungen sein. Wir alle haben 6 Jahre Medizin studiert, wofür wir für ein gutes akademisches Gehalt qualifizieren. Nach dem Studium folgen für alle mindestens 5 Jahre Weiterbildung zum Facharzt, zur Fachärztin. Auch das soll im Gehalt abgebildet werden. Um eine gynäkologische Operation selbstständig durchführen zu können und entsprechend in einer Klinik akkreditiert zu werden, müssen unsere Fachärzte den Schwerpunkttitel «Operative Gynäkologie und Geburtshilfe» erwerben, was einer verlängerten Weiterbildungszeit um 2–3 Jahre entspricht. Dem wurde bis Ende 2017 durch eine höhere quantitative Dignität und einen etwas höheren Dignitätsfaktor Rechnung getragen, was der Bundesrat durch die Nivellierung der quantitativen Dignitäten (einheitlich FMH 5) aufgehoben hat. Einen Unter­schied macht der Bundesrat nur noch beim praktischen Arzt ohne Facharzttitel, bei ­welchem er den Dignitätsfaktor etwas abgesenkt hat. Es gibt viele praktische Ärzte, welche 5 und mehr Jahre Weiterbildung in den Spitälern verbracht haben, aber denen formal anrechenbare Jahre für den Erwerb des ­Facharzttitels «Allgemeine Innere Medizin» fehlen. Diese Gruppe der gut ausgebildeten praktischen Ärzte wird durch den tieferen Digni­tätsfaktor benachteiligt. Analog fühlen sich Fachärzte mit Schwerpunkttitel und ­längerer Weiterbildungszeit durch den einheitlichen Dignitätsfaktor ebenfalls benachteiligt. Zusätzlich erworbene Schwerpunkt­titel und ­Erfahrungsjahre als Ober- oder gar leitender Arzt sollten ebenfalls im Arzthonorar abge­bildet sein. Ferner sollten eine allfällige Führungsspanne und Verantwortung als Weiter- und Fortbildner sowie akademische Zusatzqualifikationen im Gehalt abgebildet sein.
Als weiterer honorarwirksamer Faktor muss das Haftungsrisiko abgebildet sein. Der so­genannte geburtshilfliche Schaden, also das ­finanzielle Risiko, welches durch einen dia­gnostischen oder therapeutischen Fehler des Geburtshelfers entstehen kann, wird gegen 20 Millionen Franken geschätzt und ist mit Abstand der höchste Schaden in der Medizin. Ebenfalls hoch ist der chirurgische Schaden. Die Haftpflichtprämien für eine operative ­gynäkologisch-geburtshilfliche Berufsausübung liegen deshalb um ca. das Drei- bis ­Vierfache höher als diejenigen für den Grundversorger. Der auf den geburtshilflich oder chirurgisch tätigen Kollegen lastende Druck oder gar Stress ist dementsprechend hoch. Die Forderung nach abgestufter quantitativer ­Dignität ist deshalb legitim.
Die letzte Publikation der Ärzteeinkommen [1] (aktuellere Daten stehen nicht zur Verfügung) zeigte ein Jahresgehalt von Fr. 213 574 für die Allgemeinmediziner und eines von Fr. 296 086 für die Gynäkologen auf. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den ­Gynäkologen nicht nur um ein Einkommen aus TARMED-Leistungen handelt, sondern auch um einen Erlös aus Spitaltätigkeit und Zusatzversicherungen. Aus oben zitiertem Artikel wird auch sichtbar, dass sich weitaus die meisten Kollegen mit ihrem Einkommen innerhalb der Gauss’schen Verteilung bewegen. Vereinzelte Ausreisser gibt es naturgemäss in jeder Disziplin und da besteht ein Bedarf an Überprüfung und ggf. Korrektur.
Zweifelsfrei sind neben Weiterbildung und Risikoübernahme auch Arbeitszeit und Bereitschaftsdienste rund um die Uhr finanziell abzubilden. Das gilt für alle Ärzte, speziell für diejenigen mit häufigen und dringlichen Interventionen in kurzer Zeit, wie zum Beispiel in der Geburtshilfe. Kurze Interventionszeiten bedingen, dass sich die entsprechenden Ärzte in Kliniknähe aufhalten und entsprechend eingeschränkt über ihre Erholungszeit ausserhalb der eigentlichen Praxistätigkeit verfügen können.
Wir alle bewegen uns im Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlicher Optimierung unserer Praxis oder Klinik, sind aber auch prämien- und steuerzahlende Mitglieder der Gesellschaft sowie selber Patientinnen und Patienten. Wichtig ist dabei, dass wir bei unsere­m standespolitischen Denken die Ich-­Perspektive zugunsten der Wir-Perspektive verlassen. Der Vorstand der gynécologie suiss­e setzt sich vorbildlich dafür ein.