Die Rolle der Hebammen im Nationalsozialismus

Horizonte
Ausgabe
2018/3031
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06890
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(3031):1003

Publiziert am 24.07.2018

Die Rolle der Hebammen im Nationalsozialismus

Anja Katharina Peters
Nanna Conti (1881–1951)
Eine Biographie der Reichs­hebammenführerin
Münster: LIT Verlag; 2018.
456 Seiten. € 44.90
ISBN 978-3-643139856
In ihrer jetzt in Buchform publizierten Dissertation arbeitet Anja Katharina Peters die Biographie einer Frau auf, deren führende Rolle innerhalb des Hebammenstandes im Nationalsozialismus in Deutschland bis vor wenigen Jahren noch unzureichend reflektiert wurde. Die Arbeit zu Nanna Conti, geb. Pauli (1881 in Uelzen geboren, aufgewachsen in der Schweiz, danach in Berlin tätig, 1951 in Bielefeld beerdigt), ist gut anhand von erst seit 1990 zugänglichen Archivalien recherchiert. Anja Katharina Peters sucht Herleitungen für Nanna Contis nationalsozialistische Auffassungen aus deren Erfahrungen in der protestantischen und völkisch gesonnenen Familie, ohne sie für Entschuldigungen heranzuziehen. Mit 17 Jahren heiratete Nanna Pauli als Deutsche 1898 in ihrem damaligen Aufenthaltsort Lugano den Schweizer Posthalter Silvio Conti aus Monteggio. In der kurzen Zeit ihrer Ehe von insgesamt fünf Jahren folgte eine Schwangerschaft auf die andere. Für sich und ihre drei überlebenden Kinder, darunter der spätere «Reichsärzteführer» im nationalsozialistischen Regime Leonardo Conti, beantragte Nanna Conti 1914 die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Familie behielt zeit ihres Lebens jedoch auch das Schweizer Heimatrecht. Nach ihrer Scheidung 1902 entschloss sie sich zu einer Ausbildung als Hebamme in Magdeburg und arbeitete ab 1918 in Berlin. Ihre Rolle sowohl im Nationalsozialismus als auch in der Verbandsarbeit wird detailreich dargestellt und die Frage, inwieweit sie als ­Täterin zu beurteilen ist, wird angesichts der Tatsache, dass sie nie angeklagt worden ist, ausführlich behandelt. Auch die unreflektierten Lobesreden ihrer Hebammenkolleginnen über die Verdienste von Nanna Conti für die Hebammenschaft anlässlich ihres Todes 1951 wurden richtigerweise hervorgehoben. Eine erste Auseinandersetzung mit der Rolle der Hebammen im Nationalsozialismus wagte der Hebammenverband erst 2006 in einer Stellungnahme. Die Aufarbeitung von Peters wird helfen, diesen Prozess weiter fortzuführen.
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