Recht, Ethik und Standesordnung

Zu guter Letzt
Ausgabe
2018/3031
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06924
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(3031):1006

Affiliations
Prof. Dr. med., Mitglied der Redaktion

Publiziert am 24.07.2018

Die Veröffentlichung der neuen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) «Umgang mit Sterben und Tod» [1] hat beim FMH-Vorstand und bei der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich zu recht heftigen Reaktionen geführt. Warum kann ein ethischer Standpunkt so starken Widerstand auslösen? Dahinter steht meines Erachtens, dass die FMH es sich zur Gewohnheit gemacht hat, ethische Empfehlungen der SAMW in unveränderter Form in ihre Standesordnung zu übernehmen. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen Ethik (reflektiert und gewichtet), Standesordnung (gibt den Mitgliedern eines Berufsstandes Richtlinien) und Recht (ermächtigt oder verbietet).
Was die Sterbehilfe anbelangt, ist Schweizer Recht klar und transparent: Nur egoistische Motive sind strafbar. Daraus lässt sich schliessen, dass Suizidhilfe – sofern kein egoistisches Motiv vorliegt – zulässig ist, und zwar auch für den Arzt, denn alle sind gleich vor dem Gesetz.
In welcher Situation Suizidhilfe jedoch ethisch vertretbar ist, ist allerdings eine andere Frage. Hier gilt es das primum nil nocere gegenüber der Autonomie des Pa­tienten und der Fürsorge abzuwägen – zum Beispiel das Lindern eines inakzeptablen Leidens. Dies betrifft alle an der Suizidhilfe beteiligten Personen, insbesondere aber den Arzt: Gegenwärtig ist allein der Arzt befugt, Pentobarbital zu verschreiben und so den Patienten beim Sterben menschenwürdig zu unterstützen.
Die SAMW-Texte geniessen einen guten Ruf. Sie haben jedoch die Besonderheit, dass es sich dabei nicht um einfache ethische Standpunkte handelt, die dem Arzt die freie Entscheidung überlassen; sie sind vielmehr – wie bereits ihr Name sagt – Richtlinien, die nicht nur das Pro und Contra einer schwierigen medizi­nischen Vorgehensweise abwägen, sondern häufig präzise Anleitungen geben. Und so wurden die in den Richt­linien präsentierten ethischen Standpunkte einfach unverändert in die Standesordnung der FMH übernommen. Bei der Standesordnung handelt es sich jedoch nicht nur um eine ethische Betrachtungsweise, selbst wenn sie sich daran orientiert, sondern «sie konkretisiert die wichtigsten Berufspflichten des Medizinalberufegesetzes (MedBG) und definiert zusätzliche berufsethische Regeln» (Definition der FMH). Es handelt sich also um Verhaltensregeln, die der Berufsstand seinen Mitgliedern basierend auf Ethik und Recht auferlegt. Diese ­Regeln können den Ausführenden jedoch auch untersagen, was rechtlich durchaus zulässig wäre.
Die Tatsache, dass sich zudem die Justiz in ihren Entscheiden häufig auf SAMW-Richtlinien beruft, macht die Verwirrung noch grösser.
Die neuen Richtlinien [1] werden von gewissen Ärzten beanstandet, da sie ihnen eine unerwünschte Verant­wortung aufbürden würden, indem sie die Legitimität eines Suizids zu beurteilen hätten, die dann von den Gerichten in Frage gestellt werden könnte. Sie fordern eine neue gesetzliche Regelung zur endgültigen Bereinigung der Verantwortungsproblematik und schlagen dazu die Berufung eines Fachgremiums aus unabhängigen Ärzten, Juristen und Sozialarbeitern vor [2]. Ein solches Gremium wäre eine bürokratische Hürde, die die höchst sensible Situationen der Sterbehilfe deutlich komplizierter machen würde, in denen – das ist zu unterstreichen – der Patient die volle Verantwortung für sein Handeln trägt, denn er initiiert das Verfahren und nimmt selbst das todbringende Medikament. In Ermangelung einer Alternative kann nur der Arzt bei der Umsetzung assistieren, was der Gesetzgeber nicht unter Strafe gestellt hat. Und wie das Beispiel von Sterbehilfeorganisa­tionen zeigt, wird der Arzt nicht gerichtlich belangt, selbst wenn er der aktuellen Standesordnung zuwiderhandelt. Daher sollte sich die FMH davor hüten, Handlungen, die der Gesetzgeber erlaubt und die ethisch akzeptabel sind, durch die Standesordnung zu verbieten.
Klar ist, dass die Schweizer Bevölkerung Zugang zur Sterbehilfe will. Nur der Arzt kann dazu auf menschenwürdige Weise beitragen. Er kann, aber er muss nicht. Diese Praxis hat sich bewährt und funk­tioniert bestens in der Schweiz. Ein neues Gesetz ist nicht erforderlich.