Der wachsende Nutzen in der Medizin: Was erhält die Schweiz für die Gesundheitsausgaben?

Dank moderner Strahlentherapie: Ein besseres und längeres Leben!

FMH
Ausgabe
2018/38
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06932
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(38):1256-1259

Affiliations
a Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, Universitätsspital Basel, Petersgraben 4, 4031 Basel; b Servizio di Radio-Oncologia, Clinica Luganese Moncucco, Via Moncucco 10, 6903 Lugano; c Präsident Schweizer Gesellschaft für Radio-Onkologie SRO, Institut für Radio-Onkologie, Kantonsspital Graubünden

Publiziert am 19.09.2018

Der enorme technologische Fortschritt in der Radio-Onkologie über die letzten Jahre sowie kombinierte Tumorbehandlungen in engster Zusammenarbeit mit Chir­urgie und Medizinischer Onkologie haben die Aussichten von Patienten mit Tumorleiden über alle Erwartungen verbessert. Nachfolgend stellen wir einige dieser entscheidenden Fortschritte und ihre Rahmenbedingungen dar.
Jedes Jahr erhalten etwa 40 000 Menschen in der Schweiz eine Krebsdiagnose und fast 17 000 versterben daran. Und auch wenn die Behandlung von Tumorleiden eine schwierige Herausforderung bleibt, hilft die moderne Strahlentherapie heute dabei, Tumore für ­immer zurückzudrängen, wo es früher kaum Heilungschancen gab. Wo früher Nebenwirkungen die ­Lebensqualität beeinträchtigten, sind heute oft aus­gezeichnete Ergebnisse ohne nennenswerte Einbussen möglich. Neben der Technologie erfordert die Behandlung aber auch einfühlsame Gesprächsführung: Die Betroffenen müssen durch die vielfältigen technischen Verfahren geführt werden und Sorgen vor Gefahren der Geräte abgefangen werden. Zudem ist die interdisziplinäre Abstimmung der therapeutischen Konzepte zentral.

Bei der Behandlung des frühen Lungenkarzinoms: Dank stereotaktischer Strahlentherapie für immer geheilt

Mit unter den häufigsten Tumorleiden finden sich mit knapp 4200 neuen Patienten jedes Jahr Krebs­erkrankungen von Lunge, Bronchien und Luftröhre. Dank moderner Hochpräzisions-Radiotherapie können heute kleinere Lungentumoren von bis zu 5 cm Durchmesser zuverlässig und sicher mit einer sehr hohen Strahlendosis innerhalb von wenigen Sitzungen beseitigt werden, ohne das umliegende gesunde Lungengewebe ernsthaft oder für den Patienten spürbar zu schädigen [1]. Bei Patienten mit kleinen Lungen­karzinomen ohne Absiedlungen in Lymphknoten oder in andere Organe, die z.B. wegen Begleiterkrankungen nicht operiert werden können, erreicht diese sogenannte stereotaktische perkutane Radiotherapie Ergebnisse, die denen einer Operation vergleichbar sind [2]. Gemäss aktuellen Studienergebnissen kann die stereotaktische Strahlentherapie aber auch bei operablen Patienten mit kleinen Lungentumoren gleichwertige Ergebnisse erreichen wie eine Operation, so dass die gezielte Strahlentherapie als Alternative erwogen werden kann [3, 4].
Berechtige Hoffnung für ein längeres Überleben gibt es auch für Patienten mit Lungenkrebs, welche mit einer modernen medikamentösen Antitumor-Therapie behandelt werden und weniger als fünf Metastasen aufweisen. Die gezielte stereotaktische Bestrahlung der wenigen Metastasen zeigt vielversprechende Resultate und kann nebenwirkungsarm eine Lebensverlängerung erreichen [5, 6].

Fallbeispiel

Bei einem 74-jährigen Patienten langjährigen Raucher mit einer langjährigen chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung und Zeichen einer deutlichen Herz­insuffizienz bei koronarer Herzkrankheit wird ein ­Lungenkrebs (Adenokarzinom) des rechten Lungen­ober­lappens im Stadium cT2 cN1 diagnostiziert (Abb. 1). Aufgrund der Begleiterkrankungen wird die Entscheidung für eine stereotaktische Strahlentherapie in wenigen Sitzungen gestellt, die auf der Basis einer FDG-PET-CT (Abb. 2) geplant wird. Zwölf Monate nach Ende der 10-tägigen Therapie zeigen sich nur noch narbige Veränderungen in den Verlaufskontrollen (Abb. 3).
Abbildung 1: Tumor im Bereich des rechten Oberlappens.
Abbildung 2: Dosisverteilung der stereotaktischen Strahlentherapie (rot = hoch; blau = niedrig) mit Schonung der gegenseitigen Lunge.
Abbildung 3: Nach 12 Monaten Zeichen einer narbigen ­Entwicklung im Bereich der ehemaligen Tumorregion.

Bei Hirnmetastasen: gute Lebensqualität auch ohne Operation dank fokussierter Strahlentherapie

Vor allem Lungen- und Brustkrebs, aber auch der bösartige Hautkrebs Melanom – und damit ein paar der häufigsten Krebslokalisationen – bilden häufig Hirnmetastasen. Bis vor wenigen Jahren war auch bei nur wenigen Metastasen die Ganzhirnbestrahlung die übliche Behandlung. Sie wurden als erste Behandlung oder in Ergänzung zu einer vorangegangenen Operation durchgeführt, da Operationen alleine selten eine dauerhafte Tumorkontrolle erreichten. Die Nebenwirkungen der Ganzhirnbestrahlung waren jedoch erheblich: Haarverlust, Erschöpfung und zuweilen Störungen der Gedächtnisleistungen.
Heute verfügen wir mit der lokalisierten, hochdo­sierten und hochpräzisen Strahlentherapie einzelner Hirnmetastasen über eine schonende Alternative, die anstelle der oder in Ergänzung zur Operation eingesetzt wird. Bei Vorliegen von ein bis drei Metastasen wird die Strahlentherapie bevorzugt als Einmalbestrahlung durchgeführt («Radiochirurgie»). Dies ist für Patientinnen und Patienten zeitlich und körperlich wenig belastend und kann problemlos ambulant durchgeführt werden [7]. Die hochpräzise Radiotherapie ist für das nahe der Metastase gelegene gesunde Hirngewebe schonend, zumal zusätzliche bildgebende Techniken am Bestrahlungsgerät eine punktgenaue Einstellung der Tumorherde ermöglichen. Daher kommt es zu keinen Einbussen der Gedächtnisleistung. Postoperativ angewendet, verringert die gezielte Strahlentherapie der Operationshöhle die Rezidivrate langfristig auf 30% (vs. 60% ohne Strahlentherapie [9]), ohne die ­Lebensqualität zu mindern [8]. Die Tatsache, dass das Tumorleiden nochmals erfolgreich behandelt und ­zurückgedrängt werden kann, bedeutet für die betroffenen Patientinnen und Patienten, aber auch für die Angehörigen einen Gewinn an Lebenszeit und Lebensqualität.

Fallbeispiel

Eine 63-jährige Patientin mit malignem Melanom weist als einzige Tumorabsiedelung eine Metastase im Hirnstamm auf (Abb. 4). Die Behandlung umfasst eine hypofraktionierte, stereotaktische Radiotherapie über fünf Therapiesitzungen mit jeweils 6 Gy (Abb. 5). Zwölf Monate nach Radiotherapie zeigen sich nur noch narbige Veränderungen in der Verlaufskontrolle (Abb. 6).
Abbildung 4: Metastase im Hirnstamm (Darstellung MRI 
mit Gadolinium).
Abbildung 5: Dosisverteilung der stereotaktischen ­Strahlentherapie (rot = hoch; grün = mittelhoch am Rand der Metastase; blau = niedrig).
Abbildung 6: Ein Jahr nach Behandlung Zeichen der narbigen Entwicklung in der Region der ehemaligen Metastase ­(Darstellung MRI mit Gadolinium).

Bei der Behandlung von Kehlkopf- und Brustkrebs: Erhalt eines funktions­tüchtigen Organs dank hochpräziser Strahlentherapie

Die Einführung der Strahlentherapie hat auch bedeutende therapeutische Verbesserungen für Patientinnen und Patienten mit Kehlkopf- und Brustkrebs gebracht. Wo früher die Entfernung des Kehlkopfes und der Brust auch bei lokalisierten kleinen Tumoren erfolgte, können Kehlkopf und Brust heute vielfach erhalten werden. Dies erspart den Patientinnen und Pa­tienten die vormals oft ausgedehnten chirurgischen Eingriffe mit erheblichen Operations- und Infektionsrisiken. Vor allem aber verursachten diese Eingriffe funktionelle Einbussen und eine erhebliche Minderung der Lebensqualität: Menschen ohne Kehlkopf mussten die Sprechfähigkeit wieder erlernen, um nicht in ihrem sozialen Umfeld isoliert zu werden. Frauen mit fehlender Brust empfanden einen Verlust ihrer Weiblichkeit, was sich negativ auf ihr Körper- und Selbstwertgefühl wie auch das Sexualleben auswirkte.
Die alleinige Strahlentherapie bei frühen Stadien des Kehlkopfkrebses gilt heute als Standard und Dank des technologischen Fortschrittes in der Radio-Onkologie werden mit der Chirurgie vergleichbare Heilungsraten von über 95% erreicht, ohne Verlust des Kehlkopfes und damit der Stimme und der Lebensqualität [10–13].
Auch bei der Behandlung des Brustkrebses – von dem jedes Jahr fast 6000 Frauen in der Schweiz betroffen sind – konzentriert sich die Chirurgie heute zumeist auf die alleinige Entfernung des Tumors in der Brust und der tumorbefallenen Lymphknoten. Dank einer nachfolgenden Strahlentherapie der Brust sind die Heilungsaussichten mindestens ebenso gut wie mit früheren radikaleren operativen Massnahmen, bei aller­dings erhaltener Brust und geringen Neben­wirkungsraten [14, 15]. Die effektive therapeutische Kombination von Chirurgie und nachfolgender Strahlentherapie ist für kleine Brusttumoren ein Standardverfahren [16]. Die betroffenen Frauen behalten ihre Brust und überstehen die Krankheit physisch und psychisch deutlich besser.

Fallbeispiel

Aufgrund von Heiserkeit wurde bei einem 73-jährigen Mann, der seit 30 Jahren nicht mehr rauchte, ein ­Plattenepithelkarzinom des rechten Stimmbandes ­diagnostiziert. Er wurde mit einer mehrwöchigen Strahlentherapie am Kehlkopf behandelt. Die Verlaufskontrolle nach drei Jahren zeigt ein unauffälliges rechtes Stimmband. Dem Patienten geht es sehr gut, bei nahezu normaler Sprech- und Schluck­fähigkeit. Nur bei aussergewöhnlicher Stimmbelastung verspüre er eine leichte Heiserkeit.

Zuverlässigkeit in der Therapie 
von A bis Z: dank gut strukturierter Weiterbildung auf Dauer gesichert

Unser intensiv ausgebautes Curriculum sieht jedes Jahr bis zu acht Weiterbildungsveranstaltungen für die Assistenzärzte und bis zu fünf Veranstaltungen für die Medizinphysiker vor. Hierdurch konnte der Kenntnisstand in der Breite unseres Faches, aber auch zu spezifischen Themen verbessert werden. Behandelt werden unter anderem die kritische und bei Bedarf zurück­haltende Indikationsstellung zur Radiotherapie, die ethischen, palliativmedizinischen und psychoonkologischen Aspekte in der Betreuung unserer Patienten nicht nur in den letzten Lebensmonaten und die perfekte Umsetzung des Strahlenschutzes. Unser umfassendes Weiterbildungsprogramm gewährleistet damit nicht nur eine qualitativ hochstehende Betreuung der Patienten von der Indikationsstellung bis hin zur Nachsorge. Auch unnötige Behandlungen werden vermieden und die Kosten im Gesundheitssystem reduziert. Da diese Aktivitäten derzeit durch das Gesundheitssystem nicht vergütet werden, füllen einzelne Mitglieder unserer radioonkologischen Kommune und Kollegen anderer Berufsgruppen diese Versorgungslücke. Dank ihres Engagements profitieren ra­dio­onko­logische Patienten heute von einer qualitativ hochstehenden Betreuung und weisen in lokalen Umfragen eine hohe Gesamtzufriedenheit von über 90% auf.

Zusammenfassung

Die radioonkologischen Behandlungsmöglichkeiten haben beachtliche Fortschritte erzielt. Durch hoch­dosierte, sehr genau umschriebene Strahlenbehandlungen mit modernsten Techniken können kritische chirurgische Eingriffe vermieden und dennoch hohe Heilungsraten erzielt werden. Der durch die Radioonkologie oft ­ermöglichte Organerhalt trotz Tumorbefall ist nicht zuletzt in psychosozialer Hinsicht bedeutsam und hat die Lebensqualität von Patienten mit Kehlkopf- oder Brustkrebs beträchtlich steigern können. Die Strahlentherapie gehört mit ihren vielfältigen Möglichkeiten – auch durch extrem kurze Behandlungsschemata von nur wenigen Tagen – unverändert zu den wichtigen Säulen in der Krebstherapie. Die hohe Qualität dieser onkologischen Therapieform wird durch eine intensive und interprofessionelle Weiterbildung dauerhaft gesichert.
D. R. Zwahlen
Präsident Schweizer ­Gesellschaft für ­Radio-Onkologie SRO
Institut für Radio-­Onkologie, ­Kantonsspital Graubünden
Loestrasse 170
CH-7000 Chur
Tel. 081 256 64 95
daniel.zwahlen[at]ksgr.ch