Unbequemes Erwachen

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/3031
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06964
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(3031):978-979

Publiziert am 24.07.2018

Unbequemes Erwachen

Der Artikel von Jean Martin wirkte auf mich überraschend und erlösend. Der Artikel zeigt, dass die Ärzte das Problem des Klimawandels und auch dessen Auswirkungen auf die Volksgesundheit erkannt haben. Es liegt in der ­Natur des Menschen, dass er leichter bereit ist, gute Nachrichten entgegenzunehmen als Hiobsbotschaften. Es macht sich für einen ­Autor kaum bezahlt, wenn er auf negative ­Entwicklungen und Tatsachen aufmerksam ­machen will. Die Tendenzen, die Wahrheit zu verdrängen und zu verleugnen, sind sowohl ein individuelles als auch kollektives Phäno­men. Jeder Mensch ist geneigt, an seinen Vorteil für morgen zu denken und die Folgen destruktiver Handlungen zu übersehen. Ich habe in der Schweizerischen Ärztezeitung [1] meine Meinung zum Problem der «Ärzte­schaft und Klimawandel» zum Ausdruck ge­bracht, ebenfalls habe ich in diesem Leserbrief auf eine der Ursachen des Klimawandels hin­gewiesen, deren Erkenntnis offenbar besonders unbequem ist, d.h. die ­globale Bevölkerungs­explosion. Es hat mich erstaunt, dass auf meinen Leserbrief keine Reaktion gefolgt ist, so als ob sich niemand für das Thema in­teressieren würde und man mit den Alltags­sorgen genügend beschäftigt wäre. Auch mein Buch Destruktionstrieb und Transzendenz hat keine echte Beachtung gefunden trotz der freundlichen Besprechung durch Erhard ­Taverna, der meinte, dass der Autor «nicht selbstgefällig zur Ruhe komme». Das Buch wurde im gleichen Atemzug mit zwei anderen Büchern genannt, die sich «mit einer letztlich universalen, unerfüll­baren Sehnsucht» oder «der Schönheit und Tragik unseres Daseins» befassten [2]. Es ist bedauerlich, dass die ernst­haften und wichtigen Aussagen des Buches, das sich mit der ­Gefährdung der Schöpfung und der Stellung des Menschen befasst, auf die erwähnte Weise relativiert worden sind.
Der Artikel von Jean Martin gibt mir die Gelegenheit, nochmals auf dieses Buch auf­merksam zu machen und seine ungewöhn­liche Art, das Problem des Klimawandels und des menschlichen Destruktionstriebes zu verstehen. Die bisherigen Versuche, den dro­henden Gefahren durch die Umweltzerstö­rung beizukommen, erweisen sich mehr und mehr als ineffizient und das Herannahen des «Tipping point» (Umschlagspunkt) immer wahrscheinlicher. Die Frage, die in diesem Buch gestellt worden ist, ist jene nach den Gründen der kollektiven Apathie seit Jahr­zehnten, d.h. seit ungefähr Mitte des letzten Jahrhunderts, als schon damals namhafte Forscher auf die ­drohenden Gefahren der Zerstörung des ­ökologischen Gleichgewichts aufmerksam ­gemacht haben. Die Darstellung von Jean Martin und meine eigenen Aus­führungen erhalten durch ein 2018 erschie­nenes Buch von Hubert Védrine, ehemaliger französischer ­Aussenminister, Unterstüt­zung, welcher zu folgender Aussage gelangt: «Les comptes à ­rebours s’égrènent: menaces écologiques,­ explosion démographique avec les migrations qui en découlent et paraissent immaîtrisables: révolution numérique qui bouleverse l’organisation des sociétés et l’éco­nomie mondiale. Dans un contexte de dés­ordre géopolitique.»