Suizid und Krankheit

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/34
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17032
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(34):1100

Publiziert am 22.08.2018

Suizid und Krankheit

Jedem Sterbewunsch liegt ein unerträgliches Leiden zu Grunde und das ist nicht auf ter­minale körperliche Krankheiten beschränkt. Das Leiden an einer terminalen Krankheit kann auch ein erträgliches Leiden sein und umgekehrt kann eine Krankheit, die nicht in absehbarer Zeit zum Tode führt, als unerträgliches Leiden erlebt werden. Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb die Suizidhilfe durch einen Arzt nur beim Vorliegen einer terminalen Krankheit gerechtfertigt sein soll.
Leiden ist ein seelisches Erleben und kann nicht gemessen werden. Ein Leiden uner­träglich zu finden ist immer eine subjektive Empfindung. Objektivieren lässt sich nur die Krankheit, nicht aber das Ausmass des Leidens des Patienten.
Gemäss der Standesordnung der FMH gehört nicht nur die Heilung von Krankheiten und der Erhalt der Gesundheit zu den Aufgaben des Arztes, sondern auch der Beistand in Krankheit und im Sterben. Es gehört demnach auch zur Aufgabe des behandelnden Arztes, ein offenes Ohr für die Sterbewünsche seiner Patienten zu haben und sich darum zu bemühen, die Beweggründe zu verstehen. Wer soll das besser können als der behandelnde Arzt, der den Patienten schon länger kennt und ihn vielleicht schon während vielen Jahren begleitet hat!
Über Suizidwünsche spricht man, wenn überhaupt, nur mit einer Vertrauensperson. Dass der behandelnde Arzt diese Aufgabe übernimmt, ist absolut sinnvoll, weil er auch die medizinischen Möglichkeiten kennt oder in Erfahrung bringen kann, die das Leiden des Patienten lindern und sein Leben wieder erträglich machen können.
Zu dieser Auseinandersetzung mit dem Pa­tienten braucht es keine bestimmten Techniken und Kompetenzen, sondern die Fähigkeit, zuhören zu können und sich für seine Patienten wirklich zu interessieren. Das reicht.
Einen unabhängigen Gutachter beurteilen zu lassen, ob der Suizidwunsch eines Patienten berechtigt ist oder nicht, ist ein falscher Weg. Die Suche nach objektiven Kriterien ist eine Missachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten und seines persönlichen Erlebens. Kein Arzt und kein Gutachter soll bestimmen, was ein lebenswertes Leben ist und was nicht. Wohin das führen kann, wissen wir seit der Naziherrschaft in Deutschland.
Objektivieren lässt sich nur die Feststellung der Urteilsfähigkeit des Patienten und die ­Vergewisserung, dass sein Todeswunsch ­konstant und langfristig vorhanden ist. Der Wunsch zu sterben ist immer eine subjektive Entscheidung und soll als diese gewürdigt und ernst genommen werden.