Wie umgehen mit der Budgetierung? Die kollektive und die individuelle Perspektive
Auf der kollektiven Ebene sind in einer budgetierten Welt vor allem die Höhe des Budgets und seine Weiterentwicklung zentral. Beides ist unmittelbar davon abhängig, wie viel Finanzmittel die Gesellschaft für ihre medizinische Versorgung auszugeben bereit ist – und damit ein politischer Entscheid.
Bei der erstmaligen Budgetfestsetzung kann man sich an dem bisherigen Ausgabenniveau orientieren. Die Systematik der Fortschreibung des Budgets muss dann aber die Frage beantworten, ob die Gesellschaft künftig den gleichen oder ggf. einen höheren Anteil ihres Einkommens für die Gesundheitsversorgung auszugeben bereit ist.
Soll der Anteil stabil bleiben, darf das Budget nur mit der Höhe der Einnahmen der Krankenversicherung wachsen. Da in alternden Gesellschaften die Leistungsinanspruchnahme in der Regel stärker steigt als die Einnahmen, erhalten im Ergebnis die Ärzte kollektiv nicht mehr alle Leistungen vergütet. Berücksichtigt man stattdessen bei der Weiterentwicklung des Budgets die Entwicklung von Kosten und Morbidität, wäre auch eine Erhöhung des Anteils des Einkommens für die Gesundheitsversorgung notwendig – dies bedarf entsprechender politischer Entscheidungen.
Auf der individuellen Ebene des einzelnen Arztes werden dramatische Konsequenzen der Einführung eines Kollektivbudgets deutlich. Die Spieltheorie kennt hier das «Gefangenendilemma» – schon das Wort verheisst nichts Gutes. In diesem Dilemma befinden sich die einzelnen Ärzte im System eines Kollektivbudgets:
– Ich weiss, die Menge des Geldes reicht nicht für alle Leistungen, also bekomme ich nur einen Teil meiner Leistungen bezahlt.
– Ich weiss, dass meine Kollegen das auch wissen. Würden wir beide nur – sagen wir – 95 Prozent der Leistungen erbringen, reicht das Geld für alle erbrachten Leistungen.
– Ich weiss aber nicht, wie sich meine Kollegen verhalten. Ich weiss nur, dass derjenige, der mehr Leistungen erbringt, auch einen höheren Anteil des Geldes erhält.
Die Konsequenz eines solchen Gefangenendilemmas lautet leider: Jeder erbringt, so viel er kann. So verhalten sich rationale Individuen in dieser Situation, obwohl nicht mehr Geld zur Verfügung steht. Die Ärzte kannibalisieren sich in so einer Welt, der Kollege wird zum Gegner im Verteilungskampf um das Budget.
Um dies zu vermeiden, gibt es innerhalb der Budgetwelt nur eine Lösung: Das kollektive Budget muss zwingend in kleine handliche individuelle Budgets – letztlich bis auf Ebene der einzelnen Praxen («Regelleistungsvolumina») – zerlegt werden. Diese Aufgabe ist seit Einführung der Budgetierung in Deutschland nicht zufriedenstellend gelöst. Für die bei einem kollektiven Budget unumgänglichen Verteilungsdiskussionen um die Budgetanteile gibt es auch keine korrekte Lösung, es gibt nur temporär akzeptable lösungsartige Zustände, also politisch akzeptierte Verteilungsergebnisse.