Cannabis-Legalisierung – wer profitiert davon?

Tribüne
Ausgabe
2018/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17128
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(48):1710-1712
Data Supplement
07128-en.pdf

Affiliations
Prof. Dr. med., Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, speziell Lungenerkrankungen

Publiziert am 28.11.2018

Einführung

Vor 40 Jahren kaum denkbar und heute Realität: Während Marihuana in den USA auf Bundesebene immer noch als illegale Droge eingestuft wird, haben 30 US-amerikanische Staaten Cannabis für medizinische Zwecke zugelassen, und zehn US-Staaten haben Cannabis für den Freizeitkonsum freigegeben [1]. Nach Uruguay (2014) hat nun Kanada als zweites Land angekündigt, Cannabis für den Freizeitgebrauch zu legalisieren [2]. Und dies, obwohl die nachteiligen Wirkungen von Cannabis auf den Menschen in der medizinischen Fachwelt seit Jahren bekannt sind und der medizinische Nutzen gering ist [3–7]. Seit Mitte 2016 sind Marihuana-Produkte mit einem THC-Gehalt von unter 1% auch in der Schweiz legal erhältlich. In der Schweiz sind bereits 580 Firmen in das Geschäft mit legalem Hanf eingestiegen, und der Boom hat 2017 erstmals 15 Millionen Franken in die Staatskasse gespült [8]
In den USA hat sich inzwischen eine gewaltige Cannabis-Industrie mit einem Milliardengeschäft entwickelt [9] Dabei hat die Cannabis-Industrie viel von der Tabakindustrie gelernt [10, 11] Marihuana-Verkäufe haben in denjenigen US-Staaten, in denen Marihuana ­legal erhältlich ist, im letzten Jahr 8 Milliarden US-Dollar erreicht, und der Verkaufserlös im Jahre 2025 wird auf 24 Milliarden geschätzt [1] Dabei haben diese Bundesstaaten im letzten Jahr 745 Millionen US-Dollar an Steuern eingenommen, und im Jahre 2025 werden diese auf 4,3 Milliarden kalkuliert. Diese werden aber die Folge­kosten (direkte Gesundheitskosten, Berufsausfälle, Sozialkosten) – wie bei der Tabakepidemie – in Zukunft nicht decken.
Die Anzahl der Cannabiskonsumenten, die älter als 12 Jahre sind, wird in den USA auf 22 Millionen Menschen ­geschätzt, davon benützen 10% Cannabis nur für medizinische Zwecke. Die Anzahl der Cannabisraucher ist von 6,2% im Jahre 2002 auf 8,3% im Jahre 2015 angestiegen [12] Die Zahl der Cannabisabhängigen wurde im Jahre 2014 auf 2,7 Millionen geschätzt, wobei 9% ­aller Cannabiskonsumenten eine Abhängigkeit entwickeln. Diese Rate steigt aber auf 17%, wenn der Cannabis­­konsum in der Adoleszenz beginnt, und 25–50%, wenn Cannabis täglich konsumiert wird [1] Seit 1992 ist der durchschnittliche Gehalt von Δ9-Tetra­hydro­­cannabinol (THC), der wichtigsten psychoaktiven Substanz in der Cannabispflanze, von 3% auf 12% im Jahre 2012 angestiegen, inzwischen kann der THC-Gehalt im konzentrierten Cannabis-Öl sogar 75% betragen [1, 13, 14]

Wer hat die Legalisierung finanziert?

In einem ausführlichen Bericht, Tracking the money that’s legalizing marijuana and why it matters, hat nun die National Families in Action (NIFA) erstmals detailliert die Geldflüsse dokumentiert, die für Abstimmungen zur Legalisierung von Cannabis in den USA in den letzten 20 Jahren eingesetzt wurden [15] Dabei wird auch offensichtlich, dass der Kampf für die Zulassung von Cannabis für medizinische Zwecke nur als Vorstufe für die spätere vollständige Legalisierung benutzt wurde. Seit 1996 haben drei Milliardäre – George Soros, Peter Lewis und John Sperling – rund 80% des Geldes beigetragen, das für die Abstimmungen in den einzelnen US-Staaten eingesetzt wurde. Schon 1992 hat George Soros, der sein Vermögen als Finanzspekulant gemacht hat, 15 Millionen US-Dollar für den Abstimmungskampf zur Legalisierung von Cannabis für medizinische Zwecke gespendet. Erst später hat er seine Open Society Foundation im Kampf für eine vollständige Legalisierung (zuerst in Uruguay) eingesetzt [16] Die anderen zwei Milliardäre, Peter Lewis und John Sperling, haben ihr Vermögen mit Versicherungsgeschäften bzw. mit dem for-profit education movement im Bildungsbereich gemacht und sind inzwischen verstorben. Alle drei haben den Weg zur vollständigen Legalisierung in der vorgängigen Durchsetzung der Medizinalisierung von Cannabis gesehen. Im Jahre 1993 hat der damalige Direktor der National Organization for the Reform of Marijuana Laws (NORML), Richard Cowen, an einer Pressekonferenz unmissverständlich gesagt: «The key to it [full legalization] is medical access. Because, once you have hun­dreds of thousands of people using marijuana medically, under medical supervision, the whole scam is going to be blown. The consensus here is that medical marijuana is our strongest suit. It is our point of leverage which will move us toward the legalization of marijuana for personal use» [15].

Cannabis als Medizin?

Die wissenschaftliche Datenlage zum medizinischen Nutzen von Cannabis als Heilmittel ist gering, syste­matische wissenschaftliche Forschung guter Qualität, insbesondere prospektive, randomisierte, Plazebo-kon­trollierte doppelblinde Studien, liegt kaum vor [7]
Bereits 1975 wurde Nabilon – ein vollsynthetisches Derivat des THC – von der US-Firma Eli Lilly als Tranquilizer und Antiemetikum patentiert. Später wurde es von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA bei Anorexie und Kachexie bei AIDS-Patienten sowie als Anti­emetikum bei Übelkeit und Erbrechen unter Zyto­statika bzw. Bestrahlungstherapie im Rahmen einer Krebstherapie zugelassen. Dronabinol ist das zweite THC-haltige Medikament, das für die gleichen Indika­tionen zugelassen ist. Eine medizinische Anwendung ist auch in der Schweiz mit einer Ausnahmebewilligung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) möglich. Der Wirkstoff wird vorwiegend in Form einer Lösung verabreicht und darf bei Appetitlosigkeit und Übelkeit infolge schwerer Erkrankungen und gegen starke Schmerzen und Spastik eingesetzt werden.
Die Wirkung dieser zwei THC-haltigen Medikamente ist jedoch gering und kann problemlos auch mit anderen Medikamenten erzielt werden. Im Jahre 2017 haben die amerikanischen National Academies of Sciences (NAS) die umfassendste Publikation zu Cannabis veröffentlicht: The Health Effects of Cannabis and Cannabinoids: The Current State of Evidence and Recommendations for Research Die NAS haben insgesamt 10 700 Abstracts von Marihuana-Publikationen seit 1999 untersucht und sind zum Schluss gekommen, dass eine Wirkung von Cannabinoiden nur bei einer durch Chemotherapie bewirkten Übelkeit und bei AIDS-verursachter Kach­exie sowie teilweise auch bei chronischen Schmerzen und Muskelspasmen im Rahmen der Krankheit multiple Sklerose gezeigt werden konnte. Gleichzeitig weisen die NAS aber auch darauf hin, dass Cannabis das Risiko von Verkehrsunfällen erhöht, eine Gefahr von Intoxikationen bei Kindern darstellt und das Risiko für die Entwicklung einer Schizophrenie und anderer Psychosen sowie von Angstzuständen erhöht. Im Bericht weist die NAS auch darauf hin, dass der Cannabiskonsum eine eingeschränkte Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistung sowie verminderte Lernfähigkeit zur Folge hat und Cannabiskonsum im frühen Kinder- und Jugendalter zu einer Abhängigkeit führt. Eine kürzlich publizierte Arbeit hat auch auf die verheerende Wirkung von Cannabis auf die Hirnentwicklung von ungeborenen Kindern und von Neugeborenen hingewiesen, weswegen schwangeren und stillenden Frauen vom Cannabis­konsum dringend abgeraten wird [17]

Cannabis-Legalisierung und ihre Folgen

Die Legalisierung von Cannabis für den Freizeitgebrauch eröffnet Möglichkeiten der Vermarktung, deren Folgen heute kaum absehbar sind [10, 11] Debatten, wie man die dadurch verursachten Gesundheitsprobleme mit neuen regulativen Massnahmen in Grenzen halten kann, werden enorme finanzielle und juristische Ressourcen binden [14]. Die Marihuana-Industrie könnte denselben Weg einschlagen wie die Tabakindustrie: Diese hat im letzten Jahrhundert die Tabakzigarette zum perfekten Nikotin-Dispenser entwickelt und mit perfiden Werbekampagnen die Anzahl der Zigarettenraucher von 1% im Jahre 1880 auf 50% im Jahre 1950 erhöht [10, 18, 19]. Wie Tabak wird die Legalisierung von Cannabis eine Reihe von noch nie dagewesenen Gesundheits- und Sicherheitsproblemen sowie finanzielle Konsequenzen für die einzelnen betroffenen Menschen, aber auch die Gesellschaft als Ganzes nach sich ziehen, während sich einige wenige mit dem Cannabisgeschäft bereichern werde Neben Alkohol wird nun in Zukunft auch Cannabis ein relevantes Problem am Arbeitsplatz und im Strassenverkehr werden. Die lang anhaltende Wirkung von THC wird sich auf die Qualität der Arbeit, aber auch auf die Häufigkeit der Verletzungen und der Gefährdung von Menschenleben auswirken. Aufgrund seiner Lipidlöslichkeit wird THC im Fettgewebe gespeichert und kann auch noch nach Stunden wieder ins Blut abgegeben und im Urin noch nach Tagen nachgewiesen werde [6]. Dazu kommt eine zunehmende Anzahl von jungen Menschen, die aufgrund des durch Cannabis bewirkten «Amotivations-Syndroms» ihre Schule oder Lehre abbrechen und dann von sozialen Werken und verschiedensten staatlichen Institutionen wieder aufgefangen werden müssen bzw. eine Langzeitbetreuung benötigen [3, 13, 21–23].
Neben den biologischen Cannabis-Produkten werden seit den 80er Jahren in unzähligen Labors zunehmend auch synthetische Cannabinoide hergestellt, die heute kaum mehr zu kontrollieren sind und bereits zu vielen Todesfällen geführt hab Heute ist es gerade bei Jugendlichen im Trend, Cannabinoide mit den ­modernen, multifunktionellen E-Zigaretten zu «dampfen», was besonders in Frankreich sehr populär wur [26].

Schlussfolgerung

Entsprechend dem Tabak ist auch der Cannabis-Handel ein Geschäft mit einer süchtig machenden Substanz, deren physische und psychische Folgen gut bekannt sind. Zum Zweck der Legalisierung wurde Marihuana gezielt verharmlost, und einige wenige machen damit ein Milliardengeschä [13]. Nachdem man in der Ta­bakepidemie – dank der weltweiten Anstrengung im Rahmen der WHO Framework Convention on Tobacco Control (www.fctc.org) – erste Erfolge erzielen konnte, wird mit der Legalisierung von Cannabis eine neue Epidemie geschaffen, deren Folgen zurzeit kaum absehbar si [10]. Aus diesem Grunde haben jetzt auch verschiedene medizinische Fachorganisationen, wie zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie oder die American Thoracic Society, mit einem Posi­tionspapier bzw. mit einem Report auf die ­Gefahren des Cannabiskonsums aufmerksam gemacht [7, 27].
Prof. Dr. med. Jürg Barben
Leitender Arzt ­Pneumologie/Allergologie & CF-Zentrum
Ostschweizer Kinderspital
Claudiusstrasse 6
CH-9006 St. Gallen
juerg.barben[at]kispisg.ch
 1 Haffajee RL, MacCoun RJ, Mello MM. Behind Schedule – Reconciling Federal and State Marijuana Policy. N Engl J Med. 2018;379(6):501–4.
 2 Felder K. Kanada – eine Grossmacht im Cannabis-Geschäft. Neue Zürcher Zeitung. 16. Mai 2018; S. 26.
 3 Taeschner KL. Cannabis – Biologie, Konsum und Wirkung. 4. erweiterte Auflage. Deutscher Ärzte-Verlag; 2005.
 4 Volkow ND, Baler RD, Compton WM, Weiss SR. Adverse health effects of marijuana use. N Engl J Med. 2018;370(23):2219–27.
 5 Hall W, Degenhardt L. Adverse health effects of non-medical cannabis use. Lancet. 2009;374(9698):1383–91.
 6 Schuurmans MM, Befruia N, Barben J. Factsheet 1: Cannabis. Primary and Hospital Care – Allgemeine Innere Medizin. 2016;16(20):384–6.
 7 Kreuter M, Nowak D, Ruther T, Hoch E, Thomasius R, Vogelberg C, et al. Cannabis-Position Paper of the German Respiratory Society (DGP). Pneumologie. 2016;70(2):87–97.
 8 Friedli D. Cannabis bringt Millionen ein. NZZ am Sonntag, 8. April 2018; S. 9.
 9 Grundlehner W. Cannabis benebelt die Investoren. Neue Zürcher Zeitung. 27. Juni 2017; S. 29.
10 Richter KP, Levy S. Big marijuana – lessons from big tobacco. N Engl J Med. 2014;371(5):399–401.
11 Barry RA, Hiilamo H, Glantz SA. Waiting for the opportune moment: The tobacco industry and marijuana legalization. Milbank Q. 2014;92(2):207–42.
12 National Academies of Sciences. The Health Effects of Cannabis and Cannabinoids: The Current State of Evidence and Recommendations for Research. 2017. http://nap.edu/24625
13 Yazdi K. Die Cannabis-Lüge – Warum Marihuana verharmlost wird und wer daran verdient. Berlin: Schwarzkopf-Verlag; 2018.
14 Kilmer B. Recreational Cannabis – Minimizing the Health Risks from Legalization. N Engl J Med. 2017;376(8):705–7.
15 Rusche S. Tracking the Money That’s Legalizing Marijuana and Why It Matters. 2017. http://www.nationalfamilies org/survey_report.html
16 Monsanto plant gentechnisch verändertes Marihuana. Deutsche Wirtschaftsnachrichten. 17. Dezember 2013. https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/12/17/monsanto-plant-gentechnisch-veraendertes-marihuana/
17 Jansson LM, Jordan CJ, Velez ML. Perinatal Marijuana Use and the Developing Child. JAMA. 2018;Jul 16 [Epub ahead of print].
18 Barben J. Tabaklobby und Kinderfänger – wie cool ist rauchen wirklich. Teil 1: Tabakepidemie, Werbung und Manipulation. Schweiz Med Forum. 2011;11:370–5.
19 Barben J. Tabaklobby und Kinderfänger – wie cool ist rauchen wirklich. Teil 2: Passivrauchen und Strategien der Tabakindustrie. Schweiz Med Forum. 2011;11:389–93.
20 Rusche S, Sabet K. What Will Legal Marijuana Cost Employers? 2017. https://www.nationalfamilies.org/reports/What_Will_Legal_Marijuana_Cost_Employers--Complete.pdf
21 Lynskey M, Hall W. The effects of adolescent cannabis use on educational attainment: a review. Addiction. 2000;95(11):1621–30.
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27 Douglas IS, Albertson TE, Folan P, Hanania NA, Tashkin DP, Upson DJ, et al. Implications of Marijuana Decriminalization on the Practice of Pulmonary, Critical Care, and Sleep Medicine. A Report of the American Thoracic Society Marijuana Workgroup. Ann Am Thorac Soc. 2015;12(11):1700–10.