«(Noch) Mehr Schub für das elektronische Patientendossier?»

FMH
Ausgabe
2018/38
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17147
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(38):1255

Affiliations
Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortliche Digitalisierung / eHealth

Publiziert am 19.09.2018

Am Universitätsspital Basel wurde Mitte August das elektronische Patientendossier (EPD) lanciert. Ab September können Patientinnen und Patienten ihr EPD eröffnen. Auch wenn eine Zertifizierung nach dem Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier aufgrund der erforderlichen Anpassungen am Ausführungsrecht frühestens im Herbst 2019 möglich ist, so gibt die Einführungsphase doch Aufschluss über die Nachfrage der Bevölkerung. Und es erlaubt auch eine erste Einschätzung über das Verbesserungspotential des EPDs für die Gesundheitsversorgung. Damit ist das EPD nach jahrelanger Aufbauarbeit und vielen Diskussionen in Arbeits- und Expertengruppen greifbar geworden. In Anbetracht dieser frühen Phase des EPDs erstaunt es umso mehr, dass die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats [1] be­antragt, dass Ärztinnen und Ärzte nur noch dann eine Zulassung zur Grundversicherung erhalten, wenn sie sich einer zertifizierten Gemeinschaft nach EPDG anschliessen. Die Kommission schloss sich der Meinung des im Jahre 2017 erschienenen Expertenberichts über die Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung [2] an. Diese sieht die Aufhebung der doppelten Freiwilligkeit als Massnahme vor. In der Begründung der Massnahme wird postuliert, dass weitere Effizienzgewinne aus der Nutzung des EPD resultieren. Dies einerseits durch eine verbesserte Qualität der Behandlungsprozesse und andererseits durch die Erhöhung der Patientensicherheit. Gleichzeitig wird eingeräumt, dass die resultierenden Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen für das gesamte Gesundheitssystem nur schwer quantifizierbar sind.
Kürzlich erhielt ich eine E-Mail einer Kollegin, die sich auf die Medienmitteilung des Kantons Basel-Stadt über das elektronische Patientendossier bezog. Dabei verwies sie auf einen Artikel über die Einführung des National Health Information Networks in den USA, welches im Jahr 2004 durch die Bush-Administration initiiert wurde. Aktuelle Studien zeigen, dass die Einführung dieses Systems die Erwartungen über die Kostensenkung im Gesundheitswesen mitnichten erfüllt hat. [3] Ebenso führt die Einführung einer elektronischen Krankengeschichte nicht per se zu Effizienz­gewinnen, wie eine Studie aus den USA eindrücklich zeigt [4].
Gleichwohl ist die Digitalisierung in der Medizin nicht wegzudenken. Im Gegensatz zur Meinung, die Digitalisierung im Gesundheitswesen sei schleppend, sind spezifische Bereiche in den Arztpraxen bereits heute hoch digitalisiert. Und ohne diese wäre eine gute Patientenversorgung kaum möglich. Eine Befragung der Ärzteschaft zur Digitalisierung, welche die FMH kürzlich durchgeführt hat, [5] zeigt deutlich, welche Anreize für die Bereitschaft zur Digitalisierung notwendig sind: Erstens muss der Nutzen für die Patientinnen und Patienten gegeben sein, einschliesslich der immanenten Erkenntnis, dass es Bereiche gibt, welche nicht digitalisiert werden müssen. Und zweitens müssen Rahmenbedingungen wie Standards und Interoperabilität erfüllt sein. Insbesondere die Frage der Kompatibilität zwischen Primärsystemen und dem EPD wurde in der Phase der Umsetzung des EPDs massiv unterschätzt. Derartige Probleme lassen sich aber leider nicht durch eine Verpflichtung zur Teilnahme lösen.