«smarter medicine»: die «Top-5-Liste» der SNG

Weitere Organisationen und Institutionen
Ausgabe
2018/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17173
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(40):1361-1362

Publiziert am 03.10.2018

Ziel der Initiative «Choosing Wisely» ist eine Ver­besserung der Patientenversorgung durch Vermeidung überflüssiger oder sogar iatrogener Untersuchungen und Behandlungen – eine Initiative aus den Ver­einigten Staaten, die gerade in aller Welt Verbreitung findet und auch die Schweiz erreicht hat. Für den Bereich Neurologie wurden unter der Ägide der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft und unter Berufung auf die – wenn auch leicht angepassten – Empfehlungen der American Academy of Neurology (AAN) fünf Massnahmen erarbeitet. Primum movens dieser Massnahmen ist die Wahrung einer qualitativ hochwertigen Behandlung bei gleichzeitigem Verzicht auf unnötige Schritte.

Die Kampagne «smarter medicine»

Der Trägerverein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland», der nebst medizinischen Fach- und Berufsorganisationen auch von Patienten- und Konsumentenorganisationen unterstützt wird, möchte die Öffentlichkeit für die Themen der Fehl- und Überversorgung sensibilisieren. Die Kampagne knüpft dabei an die erfolgreiche amerikanische Initiative «Choosing Wisely» an, die zum Ziel hat, nicht nur «kluge Entscheidungen» herbeizuführen, sondern auch die offene Diskussion zwischen Ärzteschaft, den Patienten und der Öffentlichkeit zu fördern.
In den nächsten Monaten werden weitere medizinische Fachgesellschaften sogenannte Top-5-Listen mit unnützen Behandlungen in ihrem Fachbereich publizieren. Zudem hat der Verein Anfang Oktober eine breite Kampagne für Patientinnen und Patienten lanciert: die bisher veröffentlichten Empfehlungen sind neu in einer für Laien verständlichen Sprache verfügbar, um gemeinsame Entscheidungen zu unterstützen.
Weitere Informationen zum Trägerverein und eine Übersicht über die bestehenden Top-5-Listen sind zu finden unter www.smartermedicine.ch.
Die Schweizerische Neurologische Gesellschaft gibt die fünf folgenden Empfehlungen ab:
1. Keine Elektroenzephalographie (EEG) bei Kopfschmerzen.
Das EEG bringt bei der diagnostischen Abklärung von Kopfschmerzen keine Vorteile gegenüber der klinischen Evaluation, verbessert die Therapieergebnisse nicht und erhöht die Kosten. Rezidivierende Kopfschmerzen betreffen 15 bis 20% der Bevölkerung und sind damit das häufigste Schmerzproblem überhaupt.
2. Keine Bildgebung der Karotiden wegen einfacher Synkope ohne weitere neurologische Symptome.
Eine Karotisstenose verursacht keine Ohnmacht, sondern eher fokale neurologische Ausfälle wie Schwäche auf einer Körperseite. Bildgebende Untersuchungen der Karotiden liefern daher keine Hinweise auf die Ursache einer Ohnmacht, sondern erhöhen nur die Koste­n. Ohnmachtsanfälle sind häufige Beschwerden, von denen über den gesamten Lebensverlauf betrachtet 40% der Bevölkerung betroffen sind.
3. Keine Opiate bei Migräne, es sei denn als letztes Mittel.
Opiate sollten bei Migräne nicht verabreicht werden, da es wirksamere, speziell für Migräne geeignete Behandlungen gibt. Häufiger Gebrauch von Opiaten kann Kopfschmerzen verschlimmern. Opiate sollten Fällen vorbehalten bleiben, in denen der Einsatz von migränespezifischen Therapiemassnahmen ausgeschlossen ist oder diese versagt haben.
4. Kein Interferon beta oder Glatirameracetat bei Patienten mit progredienter, nicht schubförmiger Form der Multiplen Sklerose.
Interferon beta und Glatirameracetat können die Entwicklung permanenter Behinderung bei progredienten Formen der Multiplen Sklerose nicht verhindern. Diese Arzneimittel haben häufig Nebenwirkungen, die die Lebensqualität des Patienten beeinträchtigen können. Zudem verursachen sie hohe Kosten.
5. Keine CEA-Empfehlung bei asymptomatischer Karotis­stenose, es sei denn, die Komplikationsrate ist gering (<3%).
Studien zeigen eine Komplikationsrate bei Primäroperation von 2,3% (ACAS) bis 3,1% (ACST) bei Patienten, die sich wegen asymptomatischer Stenose von >60% einer Karotis-Endarterektomie (CEA) unterziehen. In diesen Fällen betrug die absolute Risikoreduktion hinsichtlich Schlaganfall oder Mortalität in der Gruppe mit chirurgischer Intervention nach 5 Jahren grob 5–6%. Aus diesem Grund empfehlen verschiedene Fachgesellschaften, die EAC nur bei asymptomatischen Pa­tienten durchzuführen, wenn das Risiko für perioperative Komplikationen <3% und die Lebenserwartung 3–5 Jahre übersteigt. Angesichts dieser Tatsache stellen die AHA-Leitlinien jüngeren Datums fest, es sei «vernünftig», die CEA bei asymptomatischen Patienten mit >70% Stenose durchzuführen, sofern die chirurgische Komplikationsrate «gering» ist. Die berichteten Komplikationsraten weisen je nach Standort eine grosse Variationsbreite auf und hängen von der Methode ab, mit der die Komplikationen dokumentiert werden (Selbstbericht oder Beurteilung durch einen Neurologen oder administrative Daten). Trotz Forderungen nach einem strengen Monitoring müssen sich die meisten Patienten wahrscheinlich auf die vom Chirurgen selbst berichteten Raten verlassen.

Zur Entstehung dieser Liste

Die American Academy of Neurology (AAN) rief eine «Choosing Wisely»-Arbeitsgruppe ins Leben, um ihre Empfehlungsliste zu erarbeiten. Die Arbeitsgruppe hat Empfehlungen von AAN-Mitgliedern eingeholt und diese anhand der Schaden- und Nutzenwirkungen, die sich bei ihrer Umsetzung einstellen ­würden, bewertet. Die daraus erarbeiteten Empfehlungsvorschläge wurden an relevante AAN-Sektionen, Kommissionen, Fachgesellschaften und Patienten­organisationen zur Stellungnahme übermittelt. Nach Prüfung der Rückmeldungen wurden die endgültigen Empfehlungen von der Arbeitsgruppe per Abstimmung festgelegt und anschliessend durch den Praxisausschuss und den Verwaltungsrat der AAN genehmigt.
Die Schweizerische Neurologische Gesellschaft hat die von 
der American Academy of Neurology publizierte «Choosing Wisely»-Liste geprüft und ist zum Schluss gekommen, dass diese in leicht angepasster Form auch für die Schweiz zutreffend und relevant ist. Eine ausführliche Literaturliste ist unter www.smartermedicine.ch online abrufbar.
Trägerverein
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