Angeborene Stoffwechselkrankheiten: eine Versorgung im Netzwerk

Weitere Organisationen und Institutionen
Ausgabe
2018/42
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17183
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(42):1445-1447

Affiliations
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Nationalen Koordination Seltene Krankheiten (kosek), Bern

Publiziert am 17.10.2018

Die Versorgung von Patienten mit angeborenen Stoffwechselkrankheiten (AS) ist anspruchsvoll: Diagnostik, Abklärungen, Behandlung und Betreuung sind aufwendig, komplex und teuer. Im Rahmen eines Pilotprojekts der kosek arbeiten die Schweizerische Arbeitsgemeinsc haft für angeborene Stoffwechselkrankheiten und kosek zusammen, um innerhalb des Versorgungsnetzwerks Referenzzentren für AS zu schaffen.
Seltene Krankheiten betreffen gemäss internationalen Definitionen weniger als 5 Fälle pro 10 000 Einwohner/innen. Weltweit sind ca. 6000 bis 8000 seltene Krankheiten bekannt. In der Schweiz sind schätzungsweise insgesamt ca. 500 000 Personen von einer seltenen Krankheit betroffen [1].
Angeborene Stoffwechselkrankheiten sind ein Teil davon. Bis heute wurden mehr als 700 genetisch bedingte Stoffwechselkrankheiten beschrieben [2]. Alle sind selten (gesamte Inzidenz: 1:2000–3400 Neugeborene1). Sie manifestieren sich meist im Kindesalter, werden teilweise aber erst im Erwachsenenalter diagnostiziert. Deshalb ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Spezialist/innen der Pädiatrie und der Erwachsenenmedizin wichtig. Die Manifestationen dieser Krankheiten sind sehr heterogen und bedürfen einer interdis­ziplinären Betreuung. Stoffwechselspezialist/innen arbeiten am häufigsten mit Fachleuten aus Neurologie und Genetik zusammen, eine gute Zusammenarbeit ist aber auch mit der Endokrinologie, Kardiologie, Nephro­logie, ­Gastroenterologie, Hepatologie, Pneumo­logie, Rheumatologie, Orthopädie, Hämatologie, Radiologie und ­Dermatologie wichtig. Aufgrund der möglichen Stoffwechsel-Entgleisungen und erforderlichen operativen Eingriffe gehört auch die Zusammen­arbeit mit Kollegen und Kolleginnen der Intensiv­medizin, Anästhesie, Chirurgie, HNO, Augenheilkunde und Zahnmedizin zum Stoffwechselalltag. Schliesslich gehört zur Interdisziplinarität auch die enge Kooperation mit Ernährungsberatung, Sozialberatung, verschiedenen Therapeut/innen und Psycholog/innen.
Der chronische (oft progrediente) Verlauf dieser Krankheiten bedingt zudem eine enge und regelmässige ­Zusammenarbeit mit den Kinderärzt/innen und ­Hausärzt/innen, Betreuungseinrichtungen (Krippe, Kindergarten, Schule), Spitex und anderen ambulanten Einrichtungen.

Zusammenfassung

Im Rahmen eines Pilotprojekts der Nationalen Koordination Seltene Krankheiten (kosek) arbeiten die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für angeborene Stoffwechselkrankheiten und die kosek zusammen, um Referenzzentren für angeborene Stoffwechselkrankheiten zu schaffen. Diese sollen innerhalb eines Netzwerks von verschiedenen Fachspezialist/innen und ­Patientenorganisationen die Versorgung und Betreuung von Betroffenen übernehmen. Dabei sollen die Netzwerkbeteiligten die Aufgaben und Rollen untereinander absprechen und aufteilen, damit die Versorgung qualitativ gut und effizient erfolgt und keine Lücken offenbleiben.
Damit das Netzwerk sich konstituieren kann, soll die aktuelle Versorgungslandschaft erhoben werden. Spezialist/innen für angeborene Stoffwechselkrankheiten in der Schweiz werden gebeten, dazu einen kurzen Fragebogen auszufüllen (www.kosekschweiz.ch).
Kick-off des Netzwerks: 7. März 2019 in Bern.

Zusammenarbeit und Koordination für eine bessere Versorgung

Am Beispiel der angeborenen Stoffwechselkrankheiten wird sichtbar, welchen Herausforderungen sich die Versorgung im Bereich der seltenen Krankheiten stellen muss. Aufgrund der Seltenheit, Heterogenität und Komplexität von seltenen Krankheiten können falsche bzw. (zu) späte Diagnosen resultieren. Der Zugang zu einer adäquaten Versorgung für Betroffene ist demnach nicht immer gewährleistet – so auch im Bereich der angeborenen Stoffwechselkrankheiten.
2014 wurde das nationale Konzept Seltene Krankheiten vom Bundesrat verabschiedet [1]. Mit der Umsetzung von 19 Massnahmen soll die Situation für Betroffene verbessert werden. Schlüsselmassnahmen dafür sind die Bezeichnung und Anerkennung von Referenzzen­tren (Massnahmen 1 und 2).
Die Schweizerische Akademie für Medizinische Wissenschaften (SAMW) [4] definiert Referenzzentren als Kompetenzzentren für bestimmte Krankheitsgruppen, die das Fachwissen bündeln. Dabei werden verschiedene Eigenschaften wie Expertise, Einzugsgebiet und Infrastruktur berücksichtigt. Referenzzentren werden krankheitsgruppenspezifisch ausgerichtet. In den Projekten der kosek werden dabei die 24 Krankheitsgruppen der Europäischen Union übernommen, so wie sie in den Europäischen Referenznetzwerken für seltene Krankheiten (ERN) umgesetzt werden.
Die Bezeichnung als Referenzzentrum bedingt die Erfüllung von gewissen Kriterien. Zur Qualitätssicherung sollen diese Kriterien überprüft und die geeigneten Institutionen anerkannt werden.
Mitte 2017 wurde der Verein kosek2 (Nationale Koordination Seltene Krankheiten) gegründet und mit der Umsetzung dieser zwei Massnahmen beauftragt (Bezeichnung und Anerkennung von Referenzzentren). Die vorgesehene Versorgung im Bereich seltene Krankheiten orientiert sich an der Versorgung von chronischen Krankheiten. Dies bedeutet, dass verschiedene Versorgungsebenen von der Grundversorgung bis zur spezialisierten Versorgung und Expertise an der Versorgung beteiligt sind.
Die kosek sieht zwei, z.T. parallele, Versorgungsstrukturen vor: Bei unerkannten bzw. nicht diagnostizierten seltenen Krankheiten stehen Patientinnen und ­Patienten Zentren für seltene Krankheiten zur Verfügung. Bei bereits erkannter Krankheit werden Patientinnen und Patienten in spezifischen Versorgungsnetzwerken betreut (s. Abbildung 1).
Abbildung 1: Übersicht der Versorgungsstrukturen im Bereich der seltenen Krankheiten.
Versorgungsnetzwerke sind ein Zusammenschluss von verschiedenen Fachspezialist/innen. Das Netzwerk umfasst alle für die Krankheitsgruppe wichtigen Institutionen, Spezialist/innen und Unterstützungsangebote: Referenzzentren, weitere Spitäler wie auch ambulante Leistungserbringer (ärztliche wie nicht-ärztliche) und Patientenorganisationen. Die Netzwerkbeteiligten sprechen die Aufgabenteilung und Rollen untereinander ab, damit die Versorgung qualitativ gut, effizient und nach wirtschaftlichen Kriterien erfolgt und keine Lücken offenbleiben. So wird eine nahtlose Versorgung sichergestellt.

Das Pilotprojekt

Mit dem Aufbau eines schweizweiten Versorgungsnetzwerkes und von Referenzzentren für angeborene Stoffwechselkrankheiten als Pilotprojekt verfolgt die kosek das Ziel, einen generischen Bezeichnungs- und Anerkennungsprozess zu etablieren, der bei allen weiteren seltenen Krankheitsgruppen eingesetzt werden kann. Das übergeordnete Ziel ist eine Verbesserung der Versorgung. Langfristig soll die nationale Anerkennung den Referenzzentren einen Zugang zu Euro­päischen Referenznetzwerken ermöglichen (was derzeit nicht gewährleistet ist).
Damit das Pilotprojekt erfolgreich umgesetzt werden kann, hat sich unter der Federführung der kosek eine Kerngruppe zur Vorbereitung der Umsetzung konstituiert. Sie hat die Ziele, den Zeitplan und die Phasen der Umsetzung definiert.
Der nächste Schritt ist die schweizweite Erhebung der Versorgungslandschaft im Bereich der angeborenen Stoffwechselerkrankungen – also eine Zusammenstellung aller Fachpersonen und Patientenorganisationen, die sich auf diese Krankheiten konzentrieren. Dies ist eine wichtige Etappe für die Definition des Versorgungsnetzwerkes. Sind die Akteure im Netzwerk bekannt, werden diese zu einer Kick-off-Veranstaltung eingeladen. Dies ist der Startschuss zur Umsetzung. Danach gilt es, die Aufgaben innerhalb des Netzwerkes gemeinsam zu definieren und zu verteilen, so dass ­Referenzzentren, innerhalb eines Versorgungsnetzwerks und mit Unterstützung von entsprechenden ­Patientenorganisationen, ab Sommer 2019 ihre Bewerbungen zur Anerkennung bei der kosek einreichen können.

Teilnahme erwünscht

Betreuen Sie regelmässig Patientinnen und Patienten mit an­geborenen Stoffwechselkrankheiten? Dann füllen Sie bitte bis ­spätestens 21. November 2018 den Fragebogen zur Erfassung der Versorgungslandschaft aus. Dieser dauert nur ca. 3 Minuten: www.kosekschweiz.ch
Ein Kick-off zum Pilotprojekt der angeborenen Stoffwechselkrankheiten findet mit allen erhobenen Versorgern am 7. März 2019 von 14.30–16.30 Uhr in Bern statt. Im Fragebogen haben Sie die Möglichkeit, Ihr Interesse an einer Teilnahme anzugeben.
Besten Dank!
Dieser Artikel wurde im Namen der Kerngruppe publiziert.
Es bestehen keine Interessenverbindungen der Autorin, die diesen ­Artikel betreffen könnten.
M.Sc. Christine Guckert Delasoie, wissenschaftliche Mitarbeiterin der kosek
Nationale Koordination Seltene Krankheiten kosek
c/o Unimedsuisse
Haus der Akademien
Laupenstrasse 7
Postfach
CH-3001 Bern
christine.guckert[at]kosekschweiz.ch
+41 31 306 93 87
www.kosekschweiz.ch
1 Bundesamt für Gesundheit BAG. Nationales Konzept Seltene Krankheiten. 2014.
www.kosekschweiz.ch (→ Grundlagen → ­Fachberichte)
3 Karall D, Scholl-Bürgi S. Seltene Krankheiten. Angeborene Stoffwechselstörungen im Kinder- und Jugendalter. Paediatr Paedolog Austria. 2017;52:194. https://doi.org/10.1007/s00608-017-0507-8.
4 Schweizerische Akademie für medizinische Wissenschaften. ­«Seltene Krankheiten»: Geltungsbereich eines nationalen ­Konzepts sowie Rahmenbedingungen für die Schaffung und den Betrieb von Referenzzentren. 2014. www.kosekschweiz.ch (→ Grundlagen → Fachberichte)