Es ist unannehmbar, wenn wir uns aus der Arzt-Patient-Beziehung verabschieden

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17193
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(40):1364

Publiziert am 03.10.2018

Es ist unannehmbar, wenn wir uns aus der Arzt-Patient-Beziehung verabschieden

Herr Kollege Kielholz hat einen angriffigen Brief an die Adresse der FMH verfasst, der eine Replik verdient. Dabei antworte ich aus meiner Perspektive eines Spezialisten, der mit zahlreichen Tumorpatienten und anderen schwerkranken Patienten tagtäglich zu tun hat. Meine Antworten:
– Leidet dieser Patient an einer tödlichen Krankheit oder nicht? Meine Antwort: Nein
– Ist sein Lebensende nah oder nicht? Meine Antwort: Nein
– Halten Sie einen assistierten Suizid hier für vertretbar? Meine Antwort: Nein
– Mit welcher Begründung kommen Sie zu Ihre­m Urteil? keine einsilbige Antwort ...
Solche Situationen, wie sie Herr Kielholz präsentiert, sind mir selbstverständlich nicht unbekannt. Patienten mit sehr schweren Erkrankungen betreffen zuerst einmal den Patienten selber. Tumorpatienten sehen sich mit der Frage konfrontiert, wie lange sie noch leben werden, was man nur schon an ihren Blicken und den kaltschweissigen Händen sieht bzw. erkennt, wenn sie zur Nachsorge ins Sprechzimmer treten. Je nach seelischer und körperlicher Verfassung stellen sie sich die Frage mehrmals täglich. Hier erachte ich es als meine Pflicht als Arzt Faktoren anzugehen, die den Patienten immer wieder in diese ­Spirale der Verzweiflung hineintreiben. Ich denke hier an Schmerzen, neurologische ­Ausfälle mit konsekutiv gestörter Nahrungsaufnahme, Aspirationstendenz etc. Begünstigen solche Symptome das Aufkommen von Suizidgedanken, dann kann ich nur schon durch mein persönliches Engagement, etwas dagegen zu unternehmen, beim Patienten die Suizidgefährdung lindern. Hier hat die Palliativmedizin, haben Schmerzdienste etc. schon sehr viel zur Linderung des Leidens beitragen können. Dieses Engagement fehlt mir in den Zeilen von Herrn Kielholz.
Nicht vergessen dürfen wir die Angehörigen von solchen vom Schicksal schwer heimgesuchten Patienten. In meiner Erfahrung ist deshalb immer auch ein Augenmerk auf die Angehörigen zu richten. Gelingt es diese mit in den Beratungs- und Behandlungsprozess einzubeziehen, ist nicht zuletzt auch die Last für den Patienten, aber auch für den Arzt geringer. Umgekehrt erschweren negative Interaktionen zwischen Angehörigen und dem Patien­ten den ganzen Betreuungsprozess wesentlich. Zweifelsohne stellen solche Patienten für den betreuenden Arzt eine grosse Heraus­forderung dar. Wie auch immer das Schicksal ausgegangen ist, so kann ich heute mit meiner Erfahrung mit zahlreichen solcher komplexen Situationen festhalten, mein Engagement für die Patienten hat sich immer gelohnt, es fanden sich immer Lösungen Leiden erträglicher zu machen. Angehörige, die im betreuenden Arzt eine Person vorfinden, die sich dem Patienten mit seinem körper­lichen und seelischen Befinden annimmt, zeige­n sich oft erleichtert. Mit dieser Erleichterung lassen sich latente Feuer wie Schuldgefühle, Ohnmacht und Verzweiflung etwas in Schach halten. Für mich gehört es zum inte­gralen Bestandteil des Arztberufes, sich an die Seite solch schwerkranker Menschen zu stellen und im Hier und Jetzt Leiden zu lindern. Auch wenn die jeweilige Krankheit einen Fortgang nimmt, den wir nicht beeinflussen können, ist es für den Patienten und seine Angehörigen unannehmbar, wenn wir als Ärzte uns aus der Arzt-Patient-Beziehung verabschieden. Der begnadete Jazz-Pianist Michel Petrucciani bedankte sich bis zu seinem Tod bei seinen Ärzten, die trotz aller Hoffnungs­losigkeit seiner Osteogenesis imperfecta immer wieder Mittel und Wege fanden, damit er weiter musizieren konnte.