Teilzeitarbeit

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17194
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(40):1365

Publiziert am 03.10.2018

Teilzeitarbeit

Sehr geehrter Herr Kollege Dr. F. Eigenmann
Ihre Aussagen bezüglich Teilzeitarbeit können nicht unkommentiert stehen bleiben.
Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass die ­Feminisierung der Medizin weit fortgeschritten ist. Zumindest was die Studienabgänge ­betrifft, denn hier ist der Frauenanteil beispielsweise in Basel auf beachtliche 70% angestiegen. In Kaderposition hinken wir noch etwas nach. Glücklicherweise beteiligen sich nebst den Müttern zunehmend auch Väter an der Kinderbetreuung. Daher steigt der Bedarf an Teilzeitstellen sowohl bei Frauen als auch Männern (Umfragen des VSAO belegen dies). Soweit die Fakten, die sich nicht ändern lassen.
Sie schreiben, die Lernkurve sei weniger steil bei Teilzeitarbeit. Lernkurven unterliegen ohnehin groben interindividuellen Schwankungen. Die Expositionszeit als einziger Faktor in Betracht zu ziehen, genügt nicht. Mit anderen Worten: Wer eine flache Lernkurve hat, der lernt auch in 100% weniger schnell als jemand mit einer schnellen Auffassungsgabe. Weiter schreiben Sie: «Höchstleistung und Teilzeit ist ein unvereinbarer Gegensatz.» An einem Beispiel sei die Absurdität dieser Aussage demonstriert: Ein Kollege X arbeitet 100% an einer Klinik als Assistenzarzt der Chirurgie. Es werden generell nur wenige Eingriffe durchgeführt, die Klinik ist nicht gross. Er ist nur einen bis maximal zwei Tage im OP und dort muss er häufig assistieren und darf kaum selber operieren. Kollegin Y arbeitet 50% in einer Klinik mit einem grossen Volumen. Die Klinik legt Wert auf familienfreundliche Strukturen. Frau Y wird ge­fördert, weil sie besonders geschickt ist. An zwei Tagen pro Woche ist sie im OP aktiv tätig. Beide arbeiten also nicht an allen Tagen im OP. Nach 
2 Jahren ist Frau Y viel weitergekommen als Herr X. Arztbriefe schreiben sie gleich gut, wenn auch Frau Y nicht so viel Zeit hatte zum Üben.
Ein anderes Beispiel aus der Realität: Wenn ein Tennisprofi 4–6 Stunden pro Tag trainiert und es zu Weltklasse bringt, arbeitet er dann Teilzeit, weil er nicht auf eine 42h-Woche kommt? Natürlich nicht! Die Arbeitszeit kann nicht einfach an einem fixen Stundenpensum festgemacht werden. Nebst dem Zeitfaktor sind auch der Arbeitsinhalt und die individuelle Lernkurve zu berücksichtigen.
Wir können die Feminisierung und den Bedarf an Teilzeitstellen nicht einfach weg­reden. Was man nicht ändern kann, das muss man einfach bestmöglich umsetzen. Eine schwedische Kollegin habe ich gefragt: «Wie macht ihr das mit all den Teilzeitstellen?» Ihre Antwort: «Bei uns arbeiten praktisch alle Ärzte/innen zwischen 25-40 Jahren Teilzeit. Meine Frage an Dich: wie macht ihr das ohne Teilzeitstelllen?»