Waldbaden

Horizonte
Ausgabe
2018/43
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17269
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(43):1517

Affiliations
Dr. med., Mitglied der Redaktion

Publiziert am 24.10.2018

Die Natur überlebt nur dort, wo sie dem Menschen etwas nützt. Bereits ist die Biodiversität nicht mehr das Wunschziel, man begnügt sich mit den Arten, bei denen sich der Aufwand noch rechnet. Zwar hat sich auch die Schweiz dem globalen Umweltziel 2010 verpflichtet. Solange es für schöne Kalenderbilder reicht, ist ­niemand wirklich beunruhigt. Und von wegen roten ­Listen. Wer kennt schon die Mopsfledermaus, den Steinkauz, den Raubwürger oder den Zottigen Klappertopf. Mehrheitsfähig sind Steingärten, Thujahecken, Rasenroboter und Glyphosat auf den Plattenwegen im sogenannten Grünen.
Vielleicht weil Palmöl, Sojaanbau, Brände und der Papierverbrauch die Wälder dezimieren, sind Förster wie Peter Wohlleben mit Büchern wie Das geheime Leben der Bäume zu Starautoren geworden. Der telegene Waldflüsterer habe dem Wald seine Seele zurückge­geben, jubeln die Rezensenten, und andächtig wird auf die Romantik Eichendorffs bis hin zur Computerflora von Avatar verwiesen. Letzteres ist besonders pikant, weil es auf ein typisches Phänomen verweist. Die computergenerierte Fauna und Flora eines imaginären Planeten Pandora übertrifft die Realität. Ein Kunstwerk des Regisseurs James Cameron, das mit der eigenen virtuellen Botschaft die Wirklichkeit konkurrenziert. Mit einem garantiert zecken- und allergenfreien Universum. Wissenschaftlicher zum Thema, wenn auch weniger beachtet, hat Ernst Zürcher von der Berner Fachhochschule, bekanntester europäischer Mondholzforscher, in seinem Buch Die Bäume und das Unsichtbare berichtet. Die Urbanisierte Gesellschaft entdeckt ihre Druidenseele. Besonders in Deutschland war man schon immer stolz auf den Teutoburger Wald.
Vielleicht hilft Shinrin Yoku aus Japan. «Destresser sous la canopée», ein Artikel aus dem Genfer Immobilienmagazin von diesem Sommer, berichtet ausführlich über das japanische Waldbaden. An mehreren Universitäten wird zum Thema geforscht, und bereits gibt es Lehrgänge für Waldmedizin mit einem Di­plomabschluss. Terpene und Phytozine stimulieren unser Immunsystem. Ein Tag im Wald ergibt 40 Prozent mehr Killerzellen und mehr Antikrebsproteine. Bäume umarmen soll Stress, Angst, Blutdruck, Depressionen und Müdigkeit reduzieren. Was empfiehlt uns Professor Miyazaki: «Hören Sie den Vögeln zu und betrachten Sie durch die Lücken der Baumwipfel den Himmel.» Danke, Herr Professor, darauf wären wir nie gekommen. Die Waldmedizin wird in Japan zur gut subventionierten Gesundheitsprävention. Und schon hat die Tourismusindustrie im Jura, Wallis und Kanton Freiburg spezielle Waldgänge in Zusammenarbeit mit Experten im Angebot.
Der Wald ist ein gutes Beispiel für unseren Umgang mit der sogenannten Natur. Holzlieferant und Erholungsraum, Heimat von Rotkäppchen, Hänsel und Gretel und dem Wirtshaus im Spessart. Rübezahl, Coopers Waldläufer und viele Trapperlegenden haben uns früh begeistert. Mythen und Märchen sind wirkmächtiger als Studien zum CO2-Zyklus und zur Biodiversität.
Emotionen, chemische Fakten plus ein Schuss Esoterik und viel medizinischer Eigennutz sind vielleicht kein schlechtes Rezept, wenn es um den Erhalt bedrohter Ressourcen geht. Allerdings ist Vorsicht geboten. Angeblich soll die Hälfte der isländischen Bevölkerung an Trolle und Elfen glauben. Typische Waldgeister, die es anscheinend auch ohne Wald in die Folklore schaffen.
erhard.taverna[at]saez.ch
L’Information Immobilière, numéro 126, été 2018, 1211 Genève.